Meinen Freiwilligendienst für das "Praktikum im Norden" habe ich von September bis November 2022 im
schwedischen Örtchen Rättvik im Stift Berget absolviert.
Die Gemeinschaft der Heiligen Dreifaltigkeit befindet sich tatsächlich "auf dem Berg", da sich das
Exerzitienhaus ein gutes Stück außerhalb des Stadtkerns befindet. Zunächst einmal interessierte
mich, wer hier überhaupt lebt. Die Mitglieder der Gemeinschaft kommen aus verschiedenen Kirchen
und haben eine gemeinsame Berufung. Sie leben in eigenen Häuschen auf dem Gelände des Stiftes
und verfolgen die Vision, die Liebe Gottes vor allen Menschen zu bezeugen.
Zeit für Exerzitien und Meditation
Die Kraft für die Arbeit und den Einsatz an der sichtbaren Einheit der Kirche finden sie in der täglichen Messfeier und im Stundengebet. Wer in die Gemeinschaft aufgenommen werden möchte, muss zuvor ein Jahr lang seine Berufung als Freiwilliger auf dem Berg erprobt haben. Man wird in die Gemeinschaft aufgenommen, indem man sein Gelübde ablegt, das jährlich erneuert wird. Die Gemeinschaft bietet Gästen Unterkunft, Verpflegung und verschiedene Programme, die auf die Bedürfnisse der Gäste zugeschnitten sind. Die Angebote lassen sich unter den beiden Schwerpunkten der Schweige-Exerzitien und der Zen-Meditation. Die Teilnehmenden und Übungsleiter, die meist von außerhalb kommen, befassen sich speziell mit Ethik und Menschlichkeit, Kultur und geistiger Führung. Auf Vorträge, die Wissen vermitteln, folgen gemeinsame Reflexionsgespräche, bei denen sich an Sensibilität, Authentizität, Sorgfalt und Achtsamkeit orientiert wird.
Prägende Begegnungen und stille Erfahrungen
Die ersten Eindrücke und die Besichtigung des Geländes haben meine Erwartungen bestätigt, dass mich das PIN an einen sehr spirituellen Ort führen würde. Nach einem herzlichen Empfang durch alle Mitarbeitenden und Freiwilligen, unterwies mich meine Mentorin Kristina, zu der ich mit den Wochen eine enge Beziehung aufbauen sollte, in allem, was fürs Erste für mich wichtig war. Sie nahm sich viel Zeit, mir alles gut zu erklären, sodass ich schnell zuversichtlich sein konnte, alles bewerkstelligen zu können, was mir bevorstand.
Zudem wurde mir das Ankommen dadurch erleichtert, dass ich in den ersten Tagen selbst an einem Exerzitien-Seminar teilnehmen durfte. Im aktiven Erleben des Schweigen konnte ich eine Ahnung verspüren, dass die Stille, die sich in uns ausbreitet, wenn wir selbst still werden, uns mehr zu sagen hat, als wir uns vorstellen können.
Arbeitsalltag in Rättvik
Zu meinen Aufgaben gehörte im Allgemeinen die aktive Beteiligung am Leben der Gemeinschaft. Dazu gehörten insbesondere die Mitwirkung aller anstehenden alltäglichen Erledigungen und die regelmäßige Partizipation an Messfeiern und Gebetszeiten. Ein Hauptteil dessen macht die Vorbereitung der Essenszeiten aus. So half ich in der Küche beim Zubereiten der Speisen, beim Kochen, Backen und Herrichten des Speisesaales. Meine Einsatzzeiten konnte ich einem wöchentlich wechselnden Plan entnehmen. Die Schichten umfassten in der Regel 5-8 Stunden und waren je unterschiedlich gestaffelt. Die Mentorin bemühte sich um eine abwechslungsreiche Gestaltung meiner Arbeitseinheiten.
Begann ich an einem Tag um 7:15 Uhr, um das Frühstück zuzubereiten und arbeitete bis zum Nachmittag um 15 Uhr, so hatte ich tags darauf den Vormittag meistens frei und arbeitete vom Nachmittag bis in die Abendstunden. Jede Arbeitseinheit ist je unterbrochen von den Gebetszeiten, die dem Tag eine geregelte Struktur geben.
Gebet als Ausgleich und Kraftquelle
Das Stundengebet wird in der Kapelle im Haus der Stille zelebriert. Der Tag beginnt um 7:55 Uhr mit der Laudes, an die sich um 8:30 Uhr die Eucharistiefeier in der kleinen St. Dominicus Kapelle anschließt. Dort versammelt sich die ganze Gemeinschaft auch alle vier Wochen zur Anbetungsstunde vor dem Allerheiligsten. Das Mittagsgebet findet täglich um 12:45 Uhr vor dem Mittagessen statt. Am Abend wird die Vesper um 17:30 Uhr, die Komplet um 20:45 Uhr gebetet. Die Teilnahme an den Gebetszeiten in der St. Davidskapelle gehörte ebenso selbstverständlich zum Alltag wie meine Arbeitszeiten, wenngleich diesbezüglich lediglich eine Empfehlung, jedoch keine Verpflichtung, ausgesprochen wurde.
Schnell aber merkte ich selbst, wie hilfreich die Auszeiten des Gebets für den Energiehaushalt sein können. Diese Erfahrung nehme ich mir als wertvolle Erkenntnis mit nach Hause, dass es hilfreich ist, Arbeitseinheiten zwischenzeitlich ganz bewusst zu unterbrechen, um in der Erholung neue Kraft zu tanken. Vorgegebene Strukturen können helfen, in den Alltag eine Regelmäßigkeit hineinzubringen und haben einen verpflichtenden Charakter, der es erleichtert, sich eine gewisse Routine anzueignen. Hat man sich einmal eingefunden in diesen Ablauf, entwickelt sich durch das Festhalten an einem konkreten Plan auch innerlich eine gewisse Ordnung, die mir sehr gut getan hat.
Nach der Arbeit ist vor der Freizeit
Meine Freizeit konnte ich frei nach meinen persönlichen Vorlieben gestalten. Da Berget mitten im Wald liegt, verbrachte ich viel Zeit in der Natur, unternahm Ausflüge in der näheren Umgebung und betätigte mich sportlich. Rättvik ist zwar klein, bietet aber viele Möglichkeiten zur Aktivität. So sind ein Fitnessstudio und ein Schwimmbad vom Stift aus gut zu erreichen.
Sogar bezüglich meiner Leidenschaft, dem Skateboard fahren, kam ich auf meine Kosten, da es ganz zentral in Rättvik einen sehr guten Skatepark gibt. Im September war es noch so schön warm, dass ich mich dort oft auspowern konnte und am Abend wunderschöne Sonnenuntergänge am Siljan erlebte.
Bei Bedarf war es möglich, sogar noch mobiler zu sein als auf dem Skateboard, da allen Bewohner:innen der Gemeinschaft mehrere Fahrräder und Autos zur Verfügung stehen. Ausflüge in umliegende Städte konnte ich alternativ aber auch bequem mit dem Zug unternehmen. So zog es mich gelegentlich auch mal aus Rättvik raus, was sich besonders an den Wochenenden anbot, an denen ich mehrere Tage am Stück vom Dienst befreit war. Einen ersten Ausflug machte ich nach Falun, wo ich an einer Führung durch die stillgelegte Kupfermine teilnahm.
Beeindruckende Landschaften
Get-together der Freiwilligen
Da zwei andere Praktikantinnen im naheliegenden Uppsala ihr Praktikum absolvierten, beschloss ich, sie zu besuchen, um auf diesem Weg Einblicke in andere Praktikumserfahrungen zu bekommen. Ein besonderes Highlight dieses Wochenendes, während dessen ich im Newman-Institut übernachten durfte, war der gemeinsame Besuch einer Messfeier der schwedischen Kirche, bei der an diesem Tag ein besonderer Gottesdienst für Gehörlose gefeiert wurde. Nachhaltig beeindruckt haben mich die Ambitionen aller Mitwirkenden, die sogar bemüht waren, die Eucharistie in Gebärden darzustellen. Von Johanna und Greta wurde ich dann einige Wochen später ebenfalls besucht.
Diesem Besuch schlossen sich kurzerhand noch drei weitere Praktikantinnen an. Mit Anna, Alexandra und Amelie, die aus Marielund und Stockholm anreisten, verbrachten wir gemütliche Tage in
vornehmlich geselliger Runde, da es auch noch etwas zu feiern gab. Wenige Tage zuvor hatte ich nämlich Geburtstag und war nun sehr glücklich darüber, nochmal auf mein neues Lebensjahr anstoßen zu
können. Sogar einen sehr leckeren Geburtstagskuchen habe ich bekommen! Aber wer nach Berget kommt, muss auch lernen, was es heißt zu schweigen! Und so nahm ich die Mädels
kurzerhand mit in
den Meditationsraum, wo wir gemeinsam meditierten.
Zu Gast bei den bekannten roten Pferdchen
Einen ebenso unvergesslichen Tag erlebte ich im Ort Mora, wo ich das Museum besuchte, das die Gemälde des berühmten schwedischen Malers Anders Zorn ausstellt, dessen Leben und
Werke mich nachhaltig beeindruckt haben. Das Museum ist direkt neben dem ehemaligen Wohnhaus des Künstlers entstanden, das auch besichtigt werden kann, wenn man zuvorderst eine Führung bucht.
Mit dem Kauf einer enormen Anzahl traditioneller Blockhäuser sorgte Zorn für die Erhaltung eines kulturellen Erbes Schwedens. Die kleine Siedlung liegt unweit des Museumsgeländes
und bietet einen unnachahmlichen Einblick in die Geschichte der Region.
Einen sehr prägenden kulturellen Eindruck konnte ich bei einem Besuch in Nusnäs, unweit von Mora, gewinnen, wo ich die Fabrik besichtigte, in der die für die Region Dalarna berühmt
gewordenen Dala-Pferdchen hergestellt werden. Um selbst in den Genuss des Schnitzens zu kommen, investierte ich in ein originales Schnitzmesser und ein Pferdchen in Rohfassung. In den
Wochen darauf entstand daraus ein Berget-Dalahäst mit dem Logo der Gemeinschaft, das die Gäste zukünftig im Eingangsbereich begrüßt.
Herzliche Willkommenskultur erlebt
Durch viele meiner Eindrücke, die ich während meines Aufenthaltes gewinnen konnte, habe ich mich sehr bereichert gefühlt. Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass diese immer auch mit menschlichen Begegnungen einhergingen. So erlebte ich eine herzliche Willkommenskultur, nicht nur in der Gemeinschaft, in der ich schnell wertvolle Freundschaften schloss, sondern auch andernorts, ob in der Bibliothek, im Fitnessstudio oder an der Supermarktkasse: Überall wurde ich mit großer Freundlichkeit empfangen.
Insbesondere das Gemeindehaus der schwedischen Kirche ließ mich spüren, dass auch außerhalb von Berget Menschen bestrebt sind, ein Zeugnis der Liebe Gottes zu sein.
Auf ökumenischer Mission
Im Stiftsgården verbrachte ich einen großen Teil meiner Freizeit, da sich in den Räumlichkeiten viele Möglichkeiten zum Musizieren und zum stillen Arbeiten boten. Das Gemeindehaus ist direkt am Siljan, unweit der dazugehörigen großen Kirche, gelegen. Diese ist von einer kleinen Siedlung von Blockhäusern umgeben, in denen die Kirchenbesucher:innen früher übernachtet haben, wenn sie von weither zum Gottesdienst kamen. Oft ging ich noch in den Abendstunden ins Gemeindehaus, um in der Kapelle Klavier zu üben. Die Regelmäßigkeit, mit der ich meine Stücke einstudierte, sollte Früchte tragen, sodass ich zum Abschluss meines Aufenthaltes für alle Gemeindemitglieder von Berget ein kleines Privatkonzert arrangieren konnte.
Zu dieser Idee war ich auch von einer Predigt während des 60. Jubiläums von Berget inspiriert worden, bei der zu einem verstärkten Aufeinandertreffen zwischen den unterschiedlichen Konfessionen aufgerufen wurde. Zwischen dem Stiftgarden und Berget verläuft ein schmaler Fußpfad, auf dem man sich öfter begegnen sollte, lautete die Botschaft. Und so verstand ich meine Einladung zum musikalischen Abschiedsgebet, als eine Form ökumenischer Mission, die mit großer Begeisterung angenommen wurde. Ich nutzte den Anlass zudem, um mich mit einer kleinen Rede - die ich wohlgemerkt auf Schwedisch hielt - bei der Gemeinschaft für die Zeit, die ich ein Teil von Berget sein durfte, zu bedanken.
Das Programm mit Mehrwert
Das "Praktikum im Norden" würde ich in jedem Fall weiterempfehlen. Das Eintauchen in eine fremde Kultur und das Sammeln neuer Erfahrungen sind in vielerlei Hinsicht wertvoll. Im Erleben des Fremden sind wir selbst uns plötzlich die engsten Vertrauten und haben die Möglichkeit, innerlich zu wachsen und in unserer Persönlichkeit heranzureifen. Jungen Menschen sei das Programm ebenso ans Herz gelegt wie solchen, zu denen ich mich zählen darf, die bereits durch fortgeschrittenes Alter eine große Bandbreite an Lebenserfahrungen machen durften. Meine Auszeit in Schweden hat mir wieder gezeigt, wie sehr wir in der Fremde mit uns selbst bekannt werden, wie vielschichtig und unendlich das menschliche Bewusstsein ist.
Für mich persönlich gehen intensive Selbsterfahrungen stets Hand in Hand mit Gotteserfahrungen. Das empfindet jeder Mensch natürlich auf unterschiedliche Weise, aber ich bin überzeugt, dass die Zeit während des "Praktikums im Norden" jeder/m Praktikant:in hilfreiche Antworten auf Glaubensfragen geben kann. Ich war glücklich darüber, durch das PIN an einen Ort wie Berget gelangt zu sein, den ich wahrscheinlich ohne das Praktikumsprogramm nie kennengelernt hätte.