Es fühlt sich nicht so an, doch ich bin tatsächlich schon länger als einen Monat in Lettland. Manchmal kommt mir die Entfernung von Familie und Heimat noch immer unwirklich vor und auch das Wissen über den Beginn der langen Zeitspanne, die ich hier verbringen werde, rückt nur langsam in Richtung meines Verstandes.
Auf neuen Wegen
Der erste Monat ging so schnell vorbei, meine Ankunft hier empfinde ich als noch so nah, sie könnte auch gestern erst gewesen sein. Meine Familie hat mich im Zusammenhang mit unserem Sommerurlaub nach Riga zu den Dominikanerinnen von Bethanien gebracht und schon zwei Tage später, als sie wieder fuhr, wurde ich sozusagen ins kalte Wasser geschmissen. Schwester Hannah hatte mir ermöglicht, bei Radio Marija Latvia als Pilger nach Aglona zu laufen, ein kleiner Ort in Lettgallen, der wegen seiner heilenden Quelle auch als das Lourdes Lettlands bekannt ist. Jährlich findet dort ein großes katholisches Event statt, bei dem viele Gläubige Gottesdienst feiern und Gemeinschaft leben.
Von Erzählungen weiß ich, dass der Ort im restlichen Jahr ein recht unpopuläres Fleckchen Erde ist, aber wer will schon ohne meterlange Warteschlange seine zahlreichen Kanister mit dem guten Quellwasser auffüllen?
Kreatives Arbeiten
Nach der Pilgerwoche begann ich mit meiner Arbeit in der Kerzenwerkstatt, in der das Zauberwort "ātrāk" (schneller) dafür sorgt, dass meine Finger bei der Arbeit nur so über Kerzen und deren Formen schweben. Zur Belohnung wird man beim Kaffeetrinken mit typisch lettischen süßen Spezialitäten bekannt gemacht.
Anderes Land - andere Sitten?
Als Martha einige Zeit später ebenfalls angekommen war, haben wir relativ schnell festgestellt, dass wir nicht nur durch unsere Sprache als Ausländer auffallen. Wir hatten uns beide vor unserer Ankunft die Haare kurz schneiden lassen, ein neuer Lebens- mit dazugehörigem Haarabschnitt. Wir haben jedoch nicht erwartet so wenig kurze Haare an jungen Frauen in Lettland zu entdecken. Aus Interesse haben wir begonnen Strichliste über junge Frauen zwischen etwa 15 und 30 Jahren zu führen. Seit unserer ganzen Zeit hier haben wir sage und schreibe 33 Mal kurze Haare gesehen und es wäre deutlich weniger, wenn wir weiterhin mit dem Rad zur Arbeit gefahren wären (der plötzliche Wetterumschwung hat uns dies zur Schwierigkeit gemacht), denn die Busfahrt ist die beste Möglichkeit, jungen Frauen mit kurzem Haar zu begegnen.
Hauptsächlicher Grund dafür ist das ständige Warten an den jeweiligen Bushaltestellen, sei es aus eigener Verwirrtheit in der ersten Zeit in einer neuen Umgebung oder wegen des verzögerten Ankommens der Busse, was der deutschen Bahn aber trotzdem noch keine wirkliche Konkurrenz macht.
Besondere Einsatzstelle
Auf Entdeckungstour
Unsere Freizeit nutzen wir um Riga zu entdecken. Die Altstadt kennen wir nun schon ganz gut, genau wie den Zentralmarkt, wo wir regionales und saisonales Obst und Gemüse für wenig Geld ergattern können. Auch Events wie die "white night" mit zahlreichen Lichtinstallationen und Kunstwerken haben wir uns selbstverständlich nicht entgehen lassen. Die Leute die wir treffen fragen wir nach ihren liebsten Orten in Riga und konnten so schon einige gute Tipps zu unserer To-Do-Liste hinzufügen. Doch auch wenn die Großstadt einem mal nicht mehr so schillernd und aufregend erscheint, gibt es in der Umgebung viel Interessantes zu entdecken.
Angekommen.
Ob das Schloss Rundale, eine Süßigkeitenfabrik der lettischen Gotina-Toffees, der Park des Schicksals Likteņdārzs, Wanderungen in der unberührten Natur Lettlands oder der Strand in Jūrmala, wo man mit billigen Tickets und alten Retrozügen gut hinkommen kann, irgendwas findet sich für jeden. Nur Bergsteiger werden enttäuscht. Der höchste "Berg" in Lettland, der Gaizinkalns, ist ganze 311,5m hoch und somit kleiner als der 368,5m hohe Fernsehturm Rigas.
Unglaublich, wie viel schon im ersten Monat passiert ist. Bisher ist es eine wirklich wunderbare Zeit hier in Riga, den Ort, den ich wegen der Menschen und der Atmosphäre so sehr schätze, dass ich ihn im Tagebuch schon jetzt mit "zu Hause" betitle.