Mana dzīve Latvijā - Mein Leben in Lettland

Anna hat neun Monate in Riga gelebt.
Anna hat neun Monate in Riga gelebt.

Im September 2021 bin ich mit meinen Kollegen Moritz und Philipp in Riga angekommen als das Mädchen, das unbedingt Journalistin werden wollte. Avocados kannte ich eigentlich nur aus der Werbung, fand sie aber trotzdem überbewertet. Fast neun Monate später steige ich allein ins Flugzeug nach Deutschland, gespannt darauf, welcher Job es am Ende werden wird – Mediengestalterin oder Übersetzerin? Vom Journalismus habe ich mich in der Zwischenzeit verabschiedet, und Avocados mag ich tatsächlich nicht.

Genaue Erwartungen an Lettland hatte ich eigentlich nicht. Ursprünglich hatte ich mich sowieso auf ein Praktikum in Schweden beworben, von Lettland wusste ich nur sehr wenig. Im Voraus viel im Internet zu recherchieren, fand ich auch nicht so wichtig – ich würde das Land ja noch früh genug selbst sehen.

Erwartungen vs. Realität

Umso genauere Vorstellungen hatte ich davon, wie ich mich entwickeln und was ich alles machen würde. Ich wollte kochen, ausgefallene Gerichte, und oft! Abends ausgehen, jede Woche! Der Praktikantenblog würde voll mit meinen Beiträgen sein, ich würde mich gewagter anziehen, und zum nächsten Wintersemester würden sich die Journalistenschulen nur so um mich reißen!

Kurzer Realitätscheck: Ziehe ich mich wirklich gewagter an? Ein bisschen vielleicht. Vor dem Praktikum im Norden war ich eher der Typ "Meh, Kapuze sieht blöd aus." Mittlerweile setze ich völlig unironisch die Kapuze meines Abi-Pullis auf, weil Schal und Mütze auf dem einstündigen Weg zur Arbeit einfach die ganze Zeit verrutschen – und mich in Riga sowieso niemand kennt.

Aber auch im Hinblick auf andere Dinge habe ich mich verändert: Zum Beispiel hätte ich nie gedacht, dass ich mich allein zur deutschen Botschaft trauen würde.

Genau umgekehrt verhält es sich mit meiner Motivation, abends auszugehen. Ja, Riga ist wunderschön, auch nachts. Aber nach einem anstrengenden Arbeitstag und Schneesturm auf dem Heimweg will ich nicht mehr ausgehen. Und wenn ich bei traumhaftem Wetter einen tollen Nachmittag im Zentrum hatte, warum soll ich dann abends nochmal hin? Ein Treffen im Exerzitienhaus reicht völlig. Bei unserem Urlaub in Norwegen war ich auch schon vor dem Vorglühen im Bett – das Abendessen war einfach zu gut.

Meine härteste Feier-Story handelt deshalb … vom Plätzchenbacken im Kloster.

Mein Arbeitsalltag

Gearbeitet habe ich im Praktikum natürlich auch. Meine Haupteinsatzstellen waren zum einen die Kerzenwerkstatt in Imanta und zum anderen das Tageszentrum "Paaudzes" in Teika. Zusätzlich durfte ich einige Wochen auf einem Biobauernhof in der Nähe von Jelgava leben und arbeiten.

In der Kerzenwerkstatt war ich den ganzen Tag abwechselnd mit fertigen Kerzen und deren Herstellung beschäftigt. Meine Aufgaben waren sehr vielfältig – vom Bearbeiten der Wachsplatten über das Zerbrechen der Platten, Ausstatten der Formen mit Dochten, "Kerzen machen" bis zum Vorbereiten der Bestellungen durfte ich eigentlich alles machen, was nichts mit heißem Paraffin oder Metall zu tun hatte.

Aufgaben im Tageszentrum

Die Kleiderkammer im Tageszentrum Paaudzes.
Die Kleiderkammer im Tageszentrum Paaudzes.

Meine Hauptbeschäftigung im Tageszentrum Paaudzes war in der Kleiderkammer, die jede Woche aufgeräumt werden musste. Ab und zu gab es Kartons voll neuer Spenden zu sortieren, mit denen die Kleiderständer in der Kammer nach und nach aufgestockt wurden. An anderen Tagen waren es dagegen leere Kleiderbügel, die ich überall von der Stange nehmen konnte. Wenn in der Kleiderkammer wenig zu tun war, habe ich beispielsweise geputzt, Vorhänge aufgehängt oder woanders beim Aufräumen geholfen.

An meiner Zeit auf dem Hof war das Interessanteste natürlich die Arbeit mit den Tieren, wie Ziegen hüten oder melken. Daneben waren meine Aufgaben ein bisschen Gartenarbeit und mit dem Hund spazieren zu gehen, aber hauptsächlich normale Haushaltsdinge wie Wäsche aufhängen, Brennholz holen und beim Kochen helfen.

Mein Tagesablauf war wegen der verschiedenen Einsatzstellen je nach Wochentag unterschiedlich. An einem durchschnittlichen Tag bei Paaudzes konnte ich morgens ausschlafen und bin etwas später am Vormittag nach Teika gefahren. Hier gab es mal mehr und mal weniger zu tun. Allerdings wird es im Winter schon früh dunkel, so dass ich nach der Arbeit meist nur noch einkaufen oder direkt zurück zum Kloster fahren konnte.

Meine Arbeitszeiten in Imanta dagegen waren genauer geregelt. Ich fing morgens in der Kerzenwerkstatt an, arbeitete dort sechs Stunden – manchmal weniger – und hatte spätestens ab 15 Uhr frei.

Freizeitgestaltung in der Hauptstadt

Frühling im Uzvaras parks (Siegespark) in Riga.
Frühling im Uzvaras parks (Siegespark) in Riga.

Die freien Nachmittage unter der Woche habe ich bei schönem Wetter oft im Stadtzentrum verbracht. In Riga gibt es unglaublich viele Parks und andere Sehenswürdigkeiten, von denen ich längst noch nicht alles gesehen habe. Manchmal bin ich aber auch spontan zum Bahnhof gefahren und in den Zug gestiegen, meine leere Brotzeitdose und die Hausschuhe noch im Rucksack. Zugfahren ist in Lettland wie Busfahren (nur dass die Busse moderner sind): Es gibt kein Chaos mit komplizierten Ticketautomaten, Bahncard, Sitzplatzreservierungen und fünf verschiedenen Sonderpreisen. Stattdessen rennt man in letzter Minute zum Bahnhof, kauft sich am Schalter ein Ticket für Hin- und Rückfahrt, springt in den Zug und sucht sich irgendwo einen freien Platz. Und falls die Zeit nicht mehr zum Ticketkauf reicht, holt man sich den Fahrschein eben im Zug sitzend in der App. Versehentlich in die erste Klasse gesetzt oder im Ruheabteil telefoniert? Kann einem in Lettland eher nicht passieren. Und wenn es schon so einfach ist, warum nicht mal für einen Nachmittag ans Meer fahren?

Im Gegensatz zu manchen meiner Mitpraktikanten habe ich nur fünf Tage in der Woche gearbeitet und hatte das ganze Wochenende frei. Davon war in der Regel der Samstag für größere Ausflüge, Freunde und Hobbys reserviert, der Sonntag für die Messe auf Lettisch, Mittagessen mit den Schwestern und ganz viel Entspannung. So weit jedenfalls die Theorie. Praktisch bin ich doch manchmal von der Kapelle direkt zur Bushaltestelle gesprintet und habe das gemeinsame Mittagessen absagen müssen, weil meine Verabredung fürs Wochenende nur sonntagnachmittags Zeit hatte.

Am Samstag- oder Sonntagabend war manchmal noch Zeit, um mich in der Mall umzuschauen. Auch im lettischen Buchladen, um mir die hübschen Titelbilder anzusehen. Da hört es aber auch schon wieder auf – ohne Wörterbuch kann ich noch keine längeren lettischen Texte lesen.

K(l)eine Sprachbarrieren

In der Rīgas Svētā Alberta Romas katoļu baznīca gibt es auch englische Gottesdienste.
In der Rīgas Svētā Alberta Romas katoļu baznīca gibt es auch englische Gottesdienste.

Obwohl mein Lettisch nur für höchst einseitige Unterhaltungen reicht – ich kann nämlich kaum einen geraden Satz bilden – kann ich mich nur an eine Situation erinnern, in der ich wirklich an der Sprachbarriere gescheitert bin. Bei Paaudzes konnte ich mich sogar mit der Mitarbeiterin recht gut verständigen, deren Englisch ungefähr so gut ist wie mein Lettisch. Und das Kerzenwerkstatt-spezifische Vokabular hatte ich sowieso schnell gelernt: mit ein paar Zahlen, Formen und Farben kommt man schon weit, und im Zweifelsfall zeigt man einfach mit dem Finger auf die richtige Kerze.

Ein weniger alltägliches Wort, das ich mir merken werde, ist vecmāte – Hebamme. Da eine meiner Mitbewohnerinnen angehende Hebamme ist, kam das Thema ein paarmal in Gesprächen auf. Verwirrend: "vecmāte" kann man theoretisch auch als "Großmutter" interpretieren, so dass ich zur Klarstellung auch mal den Wikipedia-Artikel zu "midwife" vorzeigen musste.

Besonders witzig wurde es nochmal gegen Ende meines Praktikums, als ich einen Monat lang im Exerzitienhaus gewohnt habe – und alle dort Russisch gesprochen haben. Ich kann wirklich kein Russisch, also dachte ich: Warum im Haus nicht Lettisch reden? Mit einem schlimmen Akzent und katastrophaler Grammatik zwar, aber wenn die Mitbewohner auch nicht gut Lettisch können, ist das egal.

Fazit: es war eine tolle Zeit

Auch wenn mir vieles im Ausland anfangs schwergefallen ist, kann ich das Praktikum im Norden nur weiterempfehlen. An dieser Stelle möchte ich vor allem Sr. Hannah danken, die mich in den unmöglichsten Situationen unterstützt, nie zu viele Fragen gestellt und mir rechtzeitig das Baltistikstudium wieder ausgeredet hat. Heute weiß ich endlich, wohin ich beruflich will – und dass mir Lettland sogar viel besser gefällt als meine "erste Wahl" Schweden!

In den nächsten Jahren möchte ich definitiv noch öfter dorthin fahren, und das nicht nur wegen der Laima-Schokolade. (Obwohl das auch ein guter Grund wäre.) In den letzten Monaten habe ich unglaublich viele neue Lieblingsplätze und einige neue Leute kennengelernt, die ich auf jeden Fall besuchen will!

Mein Rat an alle Abiturienten lautet daher: Bewerbt euch unbedingt für ein Auslandspraktikum! Selbst wenn ihr nicht an eurem Wunschziel landet, diese Erfahrung wollt ihr auf keinen Fall verpassen.

Anna

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