In der Zeit vor meinem Praktikum und auch währenddessen wurde ich immer wieder gefragt: "Warum Schweden?" Doch ich hatte nie eine klare Antwort auf diese Frage parat. Vor meinem PIN war ich, im Gegensatz zu vielen meiner Mitpraktikant-innen, bis auf eine Zwischenübernachtung auf der Durchreise noch nie in Schweden und konnte nur erahnen, was es mit dem Schweden-Hype auf sich hat. Nach dem Abitur wollte ich ein fremdes Land und dessen Kultur entdecken, neue Menschen kennenlernen, meine Komfortzone verlassen. Doch eigentlich war es eher ein Gefühl, was mich nach Schweden gebracht hat. Nach 6 Monaten bin ich der Antwort auf die Frage etwas näher gekommen.
Ein Leben mit so gut wie unendlich vielen Möglichkeiten
Da ich eigentlich aus einer eher ländlichen Region komme, wo zugegebenermaßen nicht so viel los ist, habe ich mich umso mehr auf das Leben in der Stadt gefreut und wurde nicht enttäuscht. Aufgrund der Tatsache, dass Uppsala die größte und älteste Studentenstadt Schwedens ist, ist die Bevölkerung sehr jung und es gibt ein großes Freizeitangebot zu fairen Preisen. Trotz der städtischen Umgebung ist man schnell in der Natur und die schwedische Landschaft mit 'verwunschenen' Wäldern, hügeligen Felder und ihren zahlreichen Seen ist wirklich wunderschön.
Besonders genossen habe ich auch immer gemeinsame Wochenenden in Marieudd im Ferienhaus des Newmans, das einsam direkt am See liegt und der perfekte Ort zum Runterkommen ist. Doch mehr möchte ich gar nicht verraten, denn die zukünftigen Praktikant-innen sollen diesen Ort bald lieber selbst entdecken. Auch bei der Arbeit im Newman-Institut konnte ich immer eigene Ideen einbringen und unser Aufgabenbereich ging vom Heckeschneiden über das Wäschewaschen bis hin zur Unterstützung bei der Organisation von Feierlichkeiten, wie dem 20-jährigen Newman-Jubiläum.
Arbeiten in der Metropole Stockholm
An drei Tagen in der Woche habe ich in der S:t Erik Katolska Förskola in Stockholm gearbeitet. Während ich Uppsala vom ersten Tag an in mein Herz geschlossen habe, war ich von Stockholm bei meinem ersten Besuch etwas enttäuscht. Doch umso mehr Ecken ich entdeckt hatte, desto positiver ist mein Bild von dieser Stadt geworden. Die tägliche Fahrt zum Kindergarten mit ca. 1h20min (pro Weg, versteht sich) ist zwar ziemlich lang, mit der Zeit gewöhnt man sich daran und ich habe das Pendeln sogar schätzen gelernt. Im Kindergarten wurde ich vom ersten Tag an herzlich Willkommen geheißen und die Arbeit mit den Kindern hat mir sehr viel Freude bereitet. Am Anfang war es allerdings schon ein kleiner Sprung ins kalte Wasser, da sogar 3-jährige 10 mal besser Schwedisch sprechen konnten als ich (was selbst nach 6 Monaten immer noch der Fall ist) und manche der Erzieherinnen kein Englisch konnten. Doch im Endeffekt war dies wirklich die beste Übung.
Gerade wenn man mit den Kindern spricht, ist die Hemmschwelle, etwas Falsches zu sagen, viel niedriger als sonst. Doch im Kindergarten habe ich nicht nur viel über die schwedische Kultur gelernt, sondern auch über viele andere Kulturen. Wie ganz Stockholm, ist die katholische Vorschule nämlich sehr international und viele verschiedene Nationalitäten treffen aufeinander.
Die Welt ist klein
In Schweden ist mir bewusst geworden, was für ein kleines Land es im Vergleich zu Deutschland eigentlich ist, zumindest bevölkerungstechnisch. In Deutschland leben auf einer Fläche von ca. 350.000 km² ca. 83 Millionen, während in Schweden auf eine Fläche von 450.000 km² gerade einmal 10 Millionen Einwohner kommen. Für die Menschen hier hat die Distanz deswegen einen ganz anderen Stellenwert. Um Freunde zu besuchen, fährt man dann einfach mal 3 Stunden Auto.
Katholische Kirche in Schweden
Erstaunlicherweise habe ich in Bezug auf die katholische Kirche aber oft den Eindruck gehabt, dass so gut wie jeder Katholik jeden kennt. Es hat mich immer wieder überrascht, wenn beiläufig in einem Gespräch erwähnt wurde, dass Person XY am letzten Wochenende in Rättvik oder Vadstena war. Doch diese Orte sind unter den Katholiken wirklich allerorts bekannt. Im Gegensatz zur katholischen Kirche in Deutschland verzeichnet die Kirche in Schweden in den letzten Jahren sogar einen leichten Zuwachs. Mir schien es, als ob es für die Katholiken in Schweden oft eine bewusste Entscheidung ist, der katholischen Kirche anzugehören. Sie leben ihren Glauben auch sehr aktiv aus, was man in Deutschland heutzutage immer seltener sieht.
Es stimmt, dass die katholische Kirche in Schweden in vielen Bereichen deutlich konservativer ist, als in Deutschland. Dies war am Anfang für mich etwas befremdlich, doch durch das Praktikum konnte ich die Meinungen etwas besser nachvollziehen oder zumindest akzeptieren, dass nicht jeder den gleichen Standpunkt hat.
So weit und doch so nah
Die Treffen mit den anderen Praktikant-innen vom PIN gehören definitiv zu einen der schönsten Erinnerungen, die ich an diese Zeit habe. Im Oktober sind Anna, Martha und ich nach Tallinn gereist und haben uns dort mit den Estland- Praktikantinnen getroffen. Obwohl wir uns vorher nur einmal gesehen hatten, hat alles sofort harmoniert und wir hatten eine tolle Zeit. Bei der gemeinsamen Silvester-Feier in Stockholm mit insgesamt 13 Praktikant-innen aus 5 verschiedenen Einsatzstellen in 3 Ländern hat es sich so angefühlt, als würde man sich schon viel länger kennen. Obwohl man so weit voneinander entfernt lebt, erleben alle letztendlich ähnliche Dinge. Auch durch gemeinsame Zoom-Abende hatte man immer die Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch.
Auch Rückschläge gehören dazu
Mittlerweile ist uns ja eigentlich allen bewusst, dass das, was man auf den sozialen Medien sieht, nicht immer unbedingt der Realität entspricht. Auch Anna, Martha und ich haben auf unserem gemeinsamen Instagram-Account für Freunde und Familie unsere Reisen und Highlights dokumentiert. Doch natürlich läuft nicht immer alles perfekt. So haben wir mehrere Wochen in Selbst-Isolation verbracht und einmal wurde daraus leider eine richtige Quarantäne.
Wegen der Corona-Lage konnten wir auch unsere Reise nach Bergen, wo wir eigentlich Weihnachten verbringen wollten, nicht antreten (doch die Alternative bei unseren lieben Mitpraktikantinnen Fabia und Sarah in Marieudd war dafür umso schöner), und auch der Besuch von meinen Freunden aus Deutschland ist leider ins Wasser gefallen.
Es gibt immer mal wieder ein paar kleine Herausforderungen, sei es die Sprache, Kommunikationsschwierigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten. Doch genau diese machen das Praktikum auch besonders lehrreich, denn am Ende geht man immer gestärkt aus der Situation raus. Mit Ricarda als Mentorin hatte ich außerdem immer eine Ansprechpartnerin und man hat sich nie alleine gefühlt.
Der schwedische Winter
Immer wieder wurde ich von Schweden vor dem langen und dunklen schwedischen Winter gewarnt. Als ich meinen Kolleginnen und Kollegen erzählt habe, dass ich von August bis Februar in Schweden bleibe, kam oft Unverständnis auf, warum ich denn genau in diesen Monaten dort bin und nicht lieber über den Sommer. Und versteht mich nicht falsch, der schwedische Winter ist wirklich lang und kalt. Bereits im November stieg die Temperatur selten über die 5°C-Marke und zur Wintersonnenwende im Dezember war es vielleicht 6 Stunden lang hell.
Die Schweden klagen gerne und oft über den Winter, doch ich habe ihn eher als positiv wahrgenommen, was aber auch daran liegen kann, das ich ihn zum ersten Mal und in nächster Zeit wahrscheinlich erstmal auch nicht wieder erleben werde. Um die dunkle Jahreszeit zu überstehen, macht man es sich halt einfach schön. Das Licht hat dabei eine ganz besondere Bedeutung, vor allem in der Weihnachtszeit werden alle Straßen hell geschmückt und auch das Lichterfest der Sankta Lucia am 13.12 spiegelt dieses wider.
Wintersport wird in Schweden groß geschrieben und auch wenn es mit dem Langlauf leider nicht geklappt hat, bin ich zum ersten Mal auf einem zugefrorenen See Schlittschuh gefahren (wobei es eigentlich eher ein Teich war). Die Eisschicht befindet sich leider nicht nur auf den Gewässern, sondern auch auf den Straßen, was den täglichen Weg zum Bahnhof um 7 Uhr morgens zu einer gefährlichen Aktion macht.
Die Krönung des schwedischen Winters konnte ich dann noch auf unserer Reise nach Schwedisch-Lappland erleben. Dort reichte einem der Schnee wirklich bis zum Oberschenkel, aber es war eine tolle Erfahrung, dies einmal erlebt zu haben.
Die Bedeutung von Freiheit und Gleichberechtigung
In meiner Zeit in Schweden habe ich die Menschen immer als gastfreundlich und gleichzeitig als etwas zurückhaltend wahrgenommen. Besonders unsere Schwedisch-Lehrerin Ingrid war immer sehr bemüht uns die Schwedische Sprache sowie möglichst viel über das Land und die Traditionen beizubringen.
Auch wenn sich Schweden und Deutsche in vielen Bereichen sehr ähneln, gibt es den einen oder anderen Unterschied. Schweden wird oft auch als Land der Freiheit und Gleichberechtigung bezeichnet. Wenn ich beschreiben müsste, was Freiheit in Schweden bedeutet, würde ich sagen, dass jeder die Möglichkeit haben soll, sich frei zu entfalten, ohne von irgendjemandem dafür verurteilt zu werden. Das umfassende Sozialsystem dient dafür als Grundlage.
Auch die deutsche Arbeitsmoral habe ich in meiner Zeit kritisch hinterfragt. Während es in Deutschland oft nur Effizienz, Fleiß und Disziplin heißt, nimmt man sich in Schweden bewusst Zeit dafür, mit seinen Kolleginnen und Kollegen zu quatschen und einen Kaffee zu trinken. Diese Fika-Pausen sind sogar gesetzlich vorgeschrieben und tragen zu einem angenehmen Arbeitsklima bei.
Auch das Familienleben ist in Schweden gut mit der Arbeit zu vereinbaren, besonders toll finde ich, dass oft beide Elternteile in Elternzeit gehen und dies vom Staat sogar noch gefördert wird.
Ein Herz für Schweden
Warum also Schweden? Alle diese Dinge, die ich gerade aufgezählt habe, haben mich Schweden kennen und lieben gelernt. Doch oft sind es auch die kleinen Dinge, die mich an diesem Land begeistern. Ich liebe es, im Sommer im Wald frische Blaubeeren zu pflücken. Ich liebe die schwedische Fika und das schwedische Gebäck. Ich liebe die unberührte Natur. Ich liebe die schwedische Sprache und die Traditionen. Und vor allem liebe ich auch die ganzen Menschen, die ich in den letzten 6 Monaten kennenlernen durfte, denn ohne euch wäre die Zeit nur halb so schön gewesen.
Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich dank des Bonifatiuswerks diese Möglichkeit bekommen habe und das Land wird immer einen Platz in meinem Herzen haben.