Durch die Maske atmend sitze ich im Schnellzug nach Hamburg, wo ich den Nachtzug nach Stockholm nehmen werde. Unter dem Sitz liegen Jutebeutel, die mir am Hauptbahnhof zum Abschied noch schnell in die Hand gedrückt wurden. Mit vielen Süßigkeiten und Erinnerungen. Ist nun der richtige Zeitpunkt um schluchzend alte Bilder anzuschauen? Oder der richtige Zeitpunkt, um zu realisieren, welche Wende dieser Aufbruch im Leben darstellt? Was soll man denken? Vielleicht einfach nichts. Es muss ja weitergehen. Die Bratschen spielen ihre Melodie.
Keine Masken, dafür Meer und Grünflächen
Pater Mikael, ein Jesuit der Stockholmer Kommunität, holt mich vom Bahnhof der schwedischen Hauptstadt ab und überrascht mich damit, dass er auch Deutsch spricht. Und noch eine Überraschung: keine Masken! Weit und breit bin ich der Einzige, der eine Maske trägt. Ist das die Freiheit, von der alle reden? Ich bezweifle es. Die Bratschen spielen ihre Melodie.
Das also ist mein neues Zuhause. Vielleicht auch nur eine Bleibe auf Zeit, ohne Heimat. Die Großstadt wirkt beeindruckend und mir werden viele neue Gesichter bekanntgemacht, deren Namen sich einprägen werden. Nicht mehr ganz eine anonyme Betonwüste. Wobei im Venedig des Nordens von keiner Betonwüste gesprochen werden kann. Das Meer ist von meiner Einsatzstelle, S:ta Eugenia, zwei Minuten entfernt und Grünflächen erobern das Stadtbild. So oft es geht, atme ich den Wind ein, fange den Moment und ertappe mich manchmal dort, was man als Vergangenheit oder Zukunft bezeichnen mag.
Glauben in Einsatzstelle weitergeben
Das Praktikantendasein in der Herzkammer des Katholizismus in Schweden ist vielseitig. Zwei Tage in der Woche arbeite ich im katholischen Buchladen, in dem man überall dort hilft, wo man gebraucht wird. Eines ist dabei garantiert: Jeder Stockholmer Priester wird diesen Laden betreten.
Drei Tage hingegen verbringe ich bei der Caritas, die in erster Linie eine Anlaufstelle für Migrant:innen darstellt. Dort erhalten sie juristische Hilfe, Schwedischunterricht und vor allem: Wertschätzung durch Mahlzeiten und ein Gespräch auf Augenhöhe. Auch wenn manche von den Besuchern glauben mögen, sie gingen zur Caritas, weil sie schwach seien, kann man sagen, dass die Caritas ein Ort der Starken und des Lebensmutes ist.
Was wäre das Praktikum bei einer Kirchengemeinde, wenn man am Sonntag frei hätte? Richtig: ein Witz! Deshalb unterrichte ich am Nachmittag die englischsprachige Firmgruppe und versuche, meinen Glauben weiterzugeben. Es ist ein tolles Gefühl, die Kirche der Zukunft in Form von reflektierenden Gesprächen über Spiritualität und weitere wichtige Themen mitgestalten zu können. Außerdem richte ich ein kleines Vesper für die Studentengemeinde am Abend, die so gestärkt ihren Aktivitäten nachgehen kann.
Die Maske und die Freiheit
Nun bin ich schon über zwei Monate in Schweden und habe viel erlebt (darüber wird berichtet), bin herumgekommen. Es ist erstaunlich, wie gut wir Praktikant:innen des Bonifatiuswerkes zusammenpassen, wie gut wir uns verstehen.
Oft bekommt man zu hören, welche Freiheit man in Schweden wegen den fast nicht existenten Corona-Restriktionen genießt. Vielleicht ist es auch eine Art von Freiheit, die mich jeden Tag weiterleben lässt, in der Hoffnung, dass alles irgendeine Bedeutung habe. Und sei es nur für mich. Symbolisch die Maske fallen lassen als Entfesselung und Loslösung.
Es ist meine Freiheit. Kann ich nach dem Jahr Ja sagen? Ja zum Schritt in die Zukunft oder bleibt es ein zurückhaltendes Tasten? Die Bratschen spielen ihre Melodie. Von der Ferne her erklingen Trompeten.
Achim