Nun sind sie vorbei, meine 11 Monaten in einem zuerst für mich fremden Land, mit einer komplett neuen Sprache und mit neuen Bekanntschaften. Für mich fühlt es sich noch so an, als wäre ich vor Kurzem noch in Stockholm angekommen. Doch jetzt blicke ich auf fast ein ganzes Jahr im Norden Europas zurück, das mein Leben bis jetzt verändert hat und in dessen Verlauf ich neue Erlebnisse und Erfahrungen sammeln durfte.
Mit Blick über die Dächer der Hauptstadt
Mein Jahr durfte ich als Praktikant des Bonifatiuswerkes in der katholischen Pfarrei S:t Eugenia verbringen. Mitten im Zentrum von Stockholm – der Hauptstadt Skandinaviens - am Kungsträdgården (Königsgarten) zu wohnen, war keine Selbstverständlichkeit. Und so wurde ich oft von Studenten oder auch von einigen Gemeindemitgliedern beneidet, dass ich direkt in der Gemeinde in zentraler Citylage wohnen konnte. Natürlich war auch ich über die Wohnlage (ca. 5 Gehminuten vom Schloss entfernt) alles andere als enttäuscht und war wirklich sehr dankbar für die einmalige Wohnsituation. So genoss ich ab und zu zusammen mit den Jesuiten, die ebenfalls mit in der Gemeinde wohnen, den Sonnenuntergang auf der hauseigenen Dachterrasse oder wurde von den Jesuiten zu Weihnachten und Ostern zu ihnen eingeladen. Über mein Zimmer konnte ich mich auch nicht beklagen, denn allein aus meinem großen Fenster konnte ich gut über die Dächer von Stockholm schauen. Manchmal fühlte ich mich daher ein wenig wie Karlsson vom Dach ;).
Ohne Kaffee nichts los!
Meine Woche hatte eigentlich immer eine grobe Strukturierung, doch häufig nutzte ich meine Freizeit, um zusätzlich mit im Buchladen, in der Gemeinde oder bei der Caritas zu helfen. Generell waren meine Arbeitszeiten sehr entspannt, aber ich denke, dass dies auch an der Gelassenheit der Schweden liegt. Es ist nämlich so, dass erst ab 9 Uhr das Alltagsleben beginnt und die Menschen gerne länger ausschlafen können. Doch dann wird nicht sofort damit angefangen zu arbeiten, sondern man trifft sich zu einem morgendlichen Kaffeeklatsch, einer sogenannten "Fika". Meiner Meinung nach eines der besten Wörter auf Schwedisch! Es beschreibt ein Kaffeetrinken mit Gebäck oder Knäckebrot und netten Gesprächen über aktuelle Themen. Bei uns in der Gemeinde gab es auch jeden Tag eine Fika, bei der sich das Pfarrgemeinde-Team und auch die Angestellten und Freiwilligen des Buchladens trafen und so gemeinsam in den Tag starteten.
Grundlegend wird in Schweden immer und überall, egal zu welcher Tageszeit, Kaffee getrunken. Tatsächlich ist so auch mein Kaffee-Konsum in der Zeit meines Praktikums stark angestiegen. Ehrlich gesagt war es für mich notwendig, nicht bei der Dunkelheit im Winter tagsüber einzuschlafen. Deshalb ist für jeden Schweden und jede Schwedin der Kaffee ein Muss und gehört zur Tradition des Landes einfach dazu.
Bücher im Überfluss
Einer meiner Einsatzstellen in meinem Praktikum war der katholische Buchladen in Stockholm. Geleitet von Peter, der von uns allen immer nur Pecka genannt wurde, befindet sich der Laden im Haus der Gemeinde am Kungsträdgården und gehört schon seit vielen Jahren zur Pfarrei.
Im Buchladen gab es eigentlich immer viel zu tun. Da angesichts der Corona-Beschränkungen das Geschäft anfangs nicht so gut lief, startete Anfang letzten Jahres ein Online-Shop, wo man die Bücher, Ikonen, Hostien und noch vieles Andere bestellen kann. Demnach war immer viel los: Bestellungen entgegennehmen, Rechnungen drucken, Pakete packen und schlussendlich diese auch sicher verschicken. Ich arbeitete mich schnell in das System und die Handgriffe des Geschäftes ein und beherrschte ab der Hälfte meines Praktikums das System im Schlaf. Ein tolles Gefühl!
Neben mir als Praktikant arbeiteten außerdem viele weitere Freiwillige aus der Gemeinde im Buchladen mit. Es machte richtig Spaß, sich mit ihnen anzufreunden und über alle möglichen Dinge zu plaudern. Hier bot sich für mich auch eine super Gelegenheit, meine gelernten Sprachkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Natürlich machte es nichts, wenn ich beispielsweise mal ein Wort nicht wusste oder einen Fehler in der Grammatik machte, denn ich hatte immer muttersprachliche Expertinnen und Experten in Schwedisch um mich herum, die ich alles fragen konnte.
Der Buchladen war insgesamt also eine tolle Station, um sich auszuprobieren und sich neu kennenzulernen: Sei es der Kontakt mit der Kundschaft, Aufgaben, bei denen ich meine ganze Kreativität einsetzen konnte oder auch das Telefonieren mit Kunden aus ganz Europa (denn immer wenn es darum ging bei deutschen Firmen anzurufen konnte ich mit meinen Deutschkenntnissen gut aushelfen) – die Arbeit wurde nie langweilig!
Strahlende Kinderaugen bei meiner Arbeit bei der Caritas
Nicht nur im Buchladen hatte ich das Gefühl, dass ich als Praktikant gebraucht wurde. Auch bei der Caritas wurde uns viel zugetraut und die Organisation vieler Veranstaltungen und Abläufe auf uns übertragen. Zusammen mit Sonja arbeitete ich jeweils drei Tage die Woche im Mötesplats (Treffpunkt) der Caritas. Dort halfen wir Obdachlosen, Armen und Bedürftigen bei ihren Problemen. Einerseits war es für uns oft einfach, den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, besonders bei Kindern hatten wir unsere Freude, mit ihnen zu spielen. Auf der anderen Seite war es für uns aber auch schwer, die schlimmen Geschichten und Erfahrungen mancher Geflüchteter nachzuvollziehen und aus dem Kopf zu bekommen. Dabei sind mir oft die Erzählungen lange nachhaltig im Gedächtnis geblieben und haben mich sprachlos gemacht.
Wenn ich daher eins bei der Caritas gelernt habe, ist es, dass wir dankbar sein können, dass wir aus einer reichen, europäischen Industrienation wie Deutschland kommen und es dank der Europäischen Union die Möglichkeit gibt, von einem Land in ein anderes Land zu ziehen ohne, dass man Angst haben muss abgeschoben zu werden oder fliehen zu müssen. Die hilfesuchenden Menschen waren trotz ihrer schwierigen Lebensumstände stets fröhlich, wenn sie uns sahen und es war wiederum großartig für uns solch netten Personen zu begegnen und ihnen beispielsweise mit Essen oder bei anderen Kleinigkeiten auszuhelfen.
Ängste überwinden und neue Erfahrungen sammeln
Meine Ideen und Erfahrungen aus Deutschland konnte ich außerdem gut jeden Sonntag bei der Katechese mit einbringen. Zusammen mit einer von drei Schwestern, die aus Nigeria stammen, leitete ich anfangs die englischsprachige Firmgruppe. Später durfte ich dann sogar die Gruppe allein leiten. Meine Aufgabe dort, mein Wissen über Glauben und Religion den Jugendlichen beizubringen, gefiel mir von Woche zu Woche besser.
Hier muss ich zudem ehrlich sagen, dass ich über mich herausgewachsen bin. Anfänglich hatte ich große Angst davor, komplett eigenständig eine Gruppe auf Englisch zu leiten. Doch am Ende war es eine Selbstverständlichkeit, die Kinder auf die Firmung vorzubereiten.
Neben dem Ministieren bei der Sonntagsmesse, sang ich ebenfalls im Jugendchor der Gemeinde und engagierte mich bei der Studentengemeinde, die ebenso ein Teil meines Praktikums war. Auch hier konnte ich die eine oder andere Freundschaft schließen, bei der man sich auch außerhalb der geplanten Treffen zum glücklichen Beisammensein oder zum Spazieren gehen traf.
Reisen von Süd nach Nord und von Ost nach West
Selbstverständlich habe ich in meinem Praktikum aber nicht nur gearbeitet. Ganz im Gegenteil: Zusammen mit meinen Schwedenpraktikantinnen Sonja, Clarita, Hannah und Klara haben wir in unserer Zeit viel zusammen erlebt und hatten vielleicht sogar dank der andauernden Corona-Pandemie die Möglichkeit, Schweden bestmöglich und von fast allen seinen Seiten zu erkunden und kennenzulernen.
So waren wir auf den beiden großen Inseln Schwedens Gotland und Öland, haben Wanderungen durch Moore und tiefe Wälder überstanden, waren im Winter in eiskalten Seen baden und haben die Rückkehr des Lichtes und der warmen Temperaturen euphorisch gefeiert. Eines meiner Highlights war allerdings unsere Reise im Winter zusammen mit einem Freund von mir, Hannah, Sonja, Clarita und Verena (einer Freundin der Uppsala Praktikanten) nach Kiruna. Über dem nördlichen Polarkreis, bei -25°C bewunderten wir das schönste Naturphänomen auf der Erde: die Polarlichter.
Aber auch unsere gemeinsamen Arbeits- und Erholungswochenenden in Marieudd bleiben mir hoffentlich noch lange in Erinnerung. Es war traumhaft, tagsüber im Wald zu arbeiten und am Abend erschöpft vor dem Kamin zu sitzen, gemeinsam Bücher zu lesen, Musik zu hören und sich über "Gott und die Welt" auszutauschen. Ein kleines Abenteuer erlebte ich darüber hinaus mit Sonja zusammen in der letzten Woche meines Praktikums: Wir wanderten zu einem einsamen See mitten im Nacka Naturreservat, badeten in den dortigen Seen und schliefen in unseren Schlafsäcken unter freiem Nachthimmel. Solche kleinen Mikro-Abenteuer können wir nur weiterempfehlen, denn es ist einfach traumhaft, so schnell und ohne viel Aufwand in der Natur zu entspannen. Und das klappt sicher auch in der deutschen Natur bestens :).
So schnell geht ein Jahr zu Ende...
Nun ist sie also vorbei … meine Zeit in Schweden! Mit einem großen Rucksack voll Gepäck ging es für mich Mitte Juli wieder zurück nach Deutschland. Meine Koffer waren dabei nicht nur gefüllt mit Anziehsachen, Büchern und Schuhen. Ich glaube, ich bin mit vielen neuen Erfahrungen, Erlebnissen, Freundschaften, Erinnerungen und mit guten Schwedisch-Kenntnissen wieder zu Hause angekommen.
Tack för allt! – Danke für alles und für Alle, die mich bei meinem Praktikum unterstützt und begleitet haben. Eine solche Zeit geht nicht einfach so schnell vorbei. Ich hoffe, dass sie noch lange in meinem Gedächtnis bleibt und ich ab und zu von meiner Zeit in Stockholm träumen werde.
Hej då Sverige vi ses snart!