Am 15. September 2020 bin ich zusammen mit Julia und Isabell von Düsseldorf nach Riga geflogen. Seit dem Frühjahr hatte ich geplant, mir überlegt, wie es sein würde, was ich bräuchte und was ich dort machen würde. Aber wie immer: Wenn man etwas plant, kommt es am Ende eh anders als gedacht. So war es auch in meinem Fall.
In Riga angekommen wurden wir von Schwester Hannah herzlich begrüßt und in unser neues Zuhause auf Zeit gebracht.
Die ersten zehn Tage in Riga
Ende September war es noch herrlich warm in Riga und wir konnten im Apfelgarten des Klosters unsere Selbstisolation, die angesichts der andauernden Corona-Pandemie nach unserer Einreise erforderlich war, verbringen. Die Selbstisolation hatte ich ehrlich gesagt unterschätzt, denn es ist schon eine sehr neue und kaum vergleichbare Situation: 10 Tage alleine in einem fremden Land mit Menschen, die man erst 24 Stunden kennt und ohne eine konkrete Aufgabe und Beschäftigung. Für mich persönlich waren diese ersten Tage sehr schwer.
Neue Sprache, neue Herausforderungen
Die ersten Kontakte in den Einsatzstellen waren aber sehr positiv und haben mir so meinen Start erleichtert. Man hat gemerkt, wie die Menschen sich gefreut haben, dass wir da sind, um zu helfen. Schwester Hannah hat uns auf diesen ersten Wegen gut begleitet und nicht nur mir den Einstieg sehr erleichtert. Dass an vielen Stellen so problemlos Deutsch oder auch Englisch gesprochen wurde, hat mich überrascht und gefreut: So fiel die Kommunikation an sich erstmal nicht schwer und wir konnten uns direkt gut verstehen.
Einige Tage später konnte auch der Lettisch-Unterricht endlich beginnen. Darauf hatte ich mich schon sehr gefreut, da ich eigentlich gerne lerne und nach dem Abitur doch ein "Lernloch" entstanden ist. Nach ein paar Unterrichtsstunden ist mir aber bewusst geworden, was für eine tolle Leistung unsere Englischlehrer in der Schule vollbracht haben. Ich war es gar nicht mehr gewöhnt, Vokabeln lernen zu müssen und noch keinen richtigen Satz bilden zu können. Dadurch habe ich doch recht schnell den Spaß daran verloren.
Am Ende unseres Kurses (wir haben Level A1.1 bestanden) konnte ich durch Zuhören viel verstehen, aber noch nicht wirklich antworten. Eine neue Sprache zu lernen ist wirklich eine Herausforderung!
Dafür konnte ich meine Englischkenntnisse während meiner Zeit in Lettland recht gut verbessern. Manchmal habe ich es aber tatsächlich auch vermisst, mich in einigen Situationen nicht auf Deutsch ausdrücken zu können. Manchmal fehlen einem auch nach jahrelangem Englischunterricht einfach die passenden Worte.
Die zurückhaltende Höflichkeit der Letten
Auch die erste Arbeitswoche war anders als ich es erwartet hatte: Ich war voller Arbeitseifer, musste aber feststellen, dass mir nicht so viel Arbeit gegeben wurde, wie ich es gerne hätte und so wartete ich am Anfang oftmals ungeduldig auf neue Aufgaben. Das hat mich schon ein wenig verwirrt, wurde mir jedoch durch meine Gruppenleitern aus dem Kindergarten, eine gebürtige Lettin, schnell erklärt: Für die Letten hat dieses Verhalten etwas mit zurückhaltender Höflichkeit zu tun. Mit dieser Information ging es mir mit der Situation schon wesentlich besser. Letten wollen dir eben nicht gleich eine "unangenehme" oder schwierige Arbeit aufhalsen, was auf Praktikant*innen sonst vielleicht eher zukommen würde, sondern wollen dir durch ihre Zurückhaltung einen angenehmen Start in die neue Arbeitsstelle ermöglichen. Eine tolle Geste!
Meine Einsatzstellen
Am Anfang habe ich in drei verschiedenen Einsatzstellen gearbeitet. Es standen durchaus noch mehr Aufgaben zur Auswahl, aber ich habe mich für die Caritas, den deutschen Kindergarten und die Kerzenwerkstatt entschieden. Bei der Caritas haben Isabell, meine Mitpraktikantin und ich einen Englisch-Kurs für Rentner angeboten. Leider wurden recht bald alle Kurse der Caritas auf Grund von COVID-19 abgesagt. In einer normalen Arbeitswoche habe ich dann dreimal in der Kerzenwerkstatt und zweimal im deutschen Kindergarten gearbeitet.
Die Arbeit in der Kerzenwerkstatt
Die Kerzenwerkstatt ist ein Ort, an dem junge Erwachsene mit Behinderungen gefördert werden - unter anderem eben auch durch das Herstellen von Kerzen, die anschließend verkauft werden. Ziel ist es hier, die Menschen motorisch und kognitiv durch die Arbeit zu fordern und zu fördern. In Lettland gibt es wenige Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Langfristig möchte die Werkstatt 1.000.000 Kerzen verkaufen, um ein Gruppen-Wohnheim für Menschen mit Behinderung zu bauen. Auch wenn ich dankbar für die Erfahrung bin, muss ich sagen, dass ich lieber für Spiel und Spaß zuständig bin als für einen effektiven Lernfortschritt der betroffenen Menschen.
Im Laufe der Zeit haben wir außerdem mehr Aufgaben in der Werkstatt und im Büro bekommen, da das Weihnachtsgeschäft in der Werkstatt ziemlich turbulent war. So mussten wir, durch die Corona-Pandemie bedingt, noch mehr Pakete verpacken als es ohnehin schon der Fall war. Alles wurde von uns, den "Mädchens!" wie uns die liebe Chefin der Werkstatt, Dita, immer genannt hat, sorgfältig mit "Foliiie" (Bläschen-Folie) ausgelegt. Die Kerzen mussten danach tetrisartig in ein möglichst kleines Paket gepackt werden, damit "die Kerzen auch sicher sind im Prozess", sprich: heile ihren Weg zum Käufer überstehen.
Am Mittwoch gibt´s Kuchen
Was auch nicht fehlen durfte ist Kuchen: Letten essen unfassbar viele Süßspeisen und so gab es jeden Mittwoch Kuchen, einfach "weil Mittwoch ist". Außerdem wird jeder Geburtstag und Namenstag ebenfalls mit einem Kuchen gefeiert. Falls mal nicht Mittwoch oder ein anderer Feiertag sein sollte gibt es immer noch "Selbstbedienung" an der Schoko-Tüte im Büro, um beim Einpacken des hundertsten Pakets nicht die Nerven zu verlieren.
Kinderkrippe, Kindergarten, Vor- und Grundschule: Alles in einem
Sehr gut gefallen hat mir auch die Arbeit im deutschen Kindergarten, in dem ich in den 5 Monaten mitarbeiten durfte. Der deutsche Kindergarten ist nicht nur ein Kindergarten, sondern ist aufgeteilt in eine Krippe, einen Kindergarten sowie eine Vor- und Grundschule. Ich selbst war in einer der kleineren Krippengruppen eingesetzt und habe mich dort sehr wohl gefühlt.
Neben uns Praktikantinnen vom Bonifatiuswerk gab es noch weitere Freiwillige von zwei anderen Organisationen aus Deutschland. Wir haben uns sofort gut verstanden, zusammen auch Ausflüge gemacht und einige Abende gemeinsam verbracht. Sprachlich gesehen war es dort einfacher als in anderen Einsatzstellen, da viele Mitarbeitende aus Deutschland kamen oder sehr gut Deutsch sprachen.
Unsere Aufgabe dort war es, die Kinder durch den Tag zu begleiten und ihnen nebenbei und spielerisch Deutsch beizubringen. Die Kinder sind meistens zwischen anderthalb und zwei Jahren alt und haben schon einen sehr durchgetakteten Tag: Es gibt drei Mahlzeiten, eine Stunde Spielzeit draußen, jeden Tag ein konkretes Projekt passend zum Wochenthema und täglich 20 Minuten Englischunterricht.
Beim Englischunterricht war ich sehr überrascht, wie schnell und gut viele Kinder in so einem jungen Alter insgesamt drei manchmal sogar auch vier Sprachen verstehen können – besonders, da Englisch ja wirklich "nur" 20 Minuten am Tag unterrichtet wird. Zwischen den ganzen Aktivitäten schlafen die Kinder im Schlafraum der Gruppen ein bis zwei Stunden. Erholung brauchen schließlich auch die größten Sprachtalente mal…
Alltag im Kloster
Das Leben im Kloster hat sich als recht einfach und unkompliziert erwiesen. Ich habe zusammen mit den Praktikanten auf dem Studentenflur gewohnt. Wir haben uns jeweils zu dritt ein Bad und alle zusammen eine Küche geteilt. Durch Corona war allerdings nicht viel los auf dem Studentenflur. Oft waren wir Praktikanten daher unter uns oder wir mussten aufgrund von Hygieneregeln Abstand halten.
Jeden Sonntag haben wir erst mit den Schwestern des Klosters zu Mittag gegessen und später am Tag sind wir gemeinsam in die Klosterkapelle zum Gottesdienst gegangen. Dort haben wir uns oft die Heftchen für die Erstkommunionkinder genommen, um dem Verlauf etwas folgen zu können. Meistens hat man jedoch eher weniger verstanden. Gerade in dieser Zeit habe ich mir oft mal einen deutschen Gottesdienst gewünscht, auch wenn die Eindrücke durch die katholische Kirche in Lettland sehr interessant und prägend waren.
Katholischer Glaube in Lettland
Eine der wichtigsten Erkenntnisse in Bezug auf den katholischen Glauben dort war Folgende: Wir deutschen Katholiken fordern oft, dass wir moderner werden müssen, da uns sonst die Mitglieder der katholischen Kirche langsam entgleiten. Allerdings haben wir dabei oft nur uns selbst im Blick und fordern so beispielsweise, dass der Papst eine Reform für die ganze katholische Welt ausspricht. Natürlich kennen bestimmt einige das Argument, dass z.B. viele Menschen in Brasilien aber an dem aktuellen System festhalten und eben noch sehr konservativ glauben. Was ich persönlich nicht im Blick hatte war, dass es aber nicht nur um Länder wie Brasilien geht, sondern auch um Länder wie Lettland, Schweden, Estland und Norwegen - Länder von denen ich solch ein Bedürfnis nach konservativem Glauben nicht erwartet hatte. Dank des Austauschs mit den anderen Praktikanten des Bonifatiuswerkes durch Zoom-Meetings hat man sich gut über solche Erfahrungen austauschen können.
Wunderschönes Lettland
Insgesamt hat mir mein Praktikum sehr gut gefallen. Es hat mich geprägt und mich persönlich weiterentwickelt. Ich könnte mir vorstellen, dass es ohne die coronabedingten Einschränkungen sicherlich noch ein wenig freier und abenteuerlicher gewesen wäre, aber so wie es am Ende war, war es auch gut. Meine Erwartungen an das Praktikum sind innerhalb eines Jahres, sprich vom Zeitpunkt der Bewerbung bis zur tatsächlichen Abreise, sehr geschwankt. Das Praktikum hat mir aber doch sehr gut vor Augen geführt, dass mir die Arbeit als Ehrenamtliche in der Kirche sehr viel Spaß macht und ich mich dort auch weiterhin engagieren möchte. Außerdem ist Lettland wirklich ein wunderschönes Land und ich werde, sobald die Corona-Pandemie es wieder zulässt, auf jeden Fall noch einmal dort hinreisen.
Ich bin dankbar, diese Erfahrung gemacht haben zu können und danke allen, die dazu beigetragen haben, mir solch eine außergewöhnliche Erfahrung zu ermöglichen.