Seit gut einer Woche bin ich nun wieder zu Hause in Deutschland und hatte während meiner Quarantäne viel Zeit, um über meine fast fünf Monate "Praktikum im Norden" nachzudenken. Wenn ich auf meine Zeit in Schweden zurückblicke, finde ich es beeindruckend, wie viel ich dort erlebt und für mich persönlich und über Andere gelernt habe, wie viel ich aus dem Praktikum mitnehmen kann.
Ein Freiwilligendienst, der dich verändert
Dabei habe ich irgendwie einen Satz von Ricarda im Ohr, der fiel, als wir wahrscheinlich wieder einmal alle, Clarita, Sonja, Hannah und ich, in ihrem Büro saßen. Sie merkte an, dass dieser Freiwilligendienst vielleicht nicht die Welt verändert, aber: "Er verändert euch.".
Meine Einsatzstelle Newman Institut
Zum einen war mein Einsatzsort das Newmaninstitut in Uppsala. An der einzigen katholischen Hochschule Skandinaviens habe ich in der Anfangszeit des Praktikums immer zwei bis drei Mal die Woche meistens mit Ricarda und Sonja zusammengearbeitet. Typische Aufgaben waren hier beispielsweise das Organisieren der Post oder der tägliche Kontrollblick ins Café des Newman. Diese Tätigkeiten haben mir viel Freude bereitet, denn der Vorteil am Postverteilen ist, dass man schnell alle Mitarbeiternamen verinnerlicht und außerdem lernt, sich im Haus zurechtzufinden.
Zwischen Måndagsmöte...
Eine andere Möglichkeit, Namen zu lernen, war auch die montägliche "Måndagsmöte". Zum Wochenbeginn tauschen sich alle, die am Newman arbeiten, in einem Treffen miteinander aus, berichten über ihr Wochenende, über kommende Vorhaben und alles, was sonst noch so gerade passiert. Bei meiner ersten Måndagsmöte, als wir uns als Praktikanten vorstellten, war ich sehr nervös und konnte nur zwei Sätze auf Schwedisch sagen. Doch von Woche zu Woche wurde es besser, denn dank eines Schwedischkurses, den Clarita, Sonja und ich am Newman machen durften, konnten wir von Mal zu Mal mehr von uns berichten. Clarita hatte schon mehr Schwedischkenntnisse als ich und spielte Google Übersetzer, wenn ich wieder mal ein Wort oder eine Verbform nicht wusste. Sonja und ich haben mit der Zeit unsere Vorliebe für schwedische Schlager und Grand Prix Songs entdeckt, wodurch wir unser Vokabular auch sehr schnell erweitern konnten (ich sage nur: Tusen och en natt). Doch zurück zu den Aufgaben am Newman.
Im Café, was einfach ein Aufenthaltsort für Mitarbeiter und Studenten ist, schaut man als Praktikant immer, ob genügend Kaffeebohnen im Automat sind, ob die Milch alle ist oder ob eine bestimmte Schale unter dem Automat steht, in die das Reinigungswasser der Maschine läuft (mit der Zeit entwickelten wir eine Hassliebe zu unserer Kaffeemaschine mit Waschzwang). Außerdem ist man als Praktikant für das Sauberhalten von zwei Gästezimmern und einer Gästewohnung zuständig.
...und Elchfleisch-Abholung
Eine gute Abwechslung für die Arbeit am Newman waren auch die Aufgabe, Elchfleisch bei einem Bauernhof abzuholen oder ein abenteuerlicher Waldtag mit Ricarda. Dabei habe ich zum ersten Mal mit einer Motorsense gearbeitet, was mir sehr viel Spaß gemacht hat. Man sieht also, dass das Newman wirklich vielfältige Aufgaben bietet.
Zweite Einsatzstelle: Caritas Mötesplats
Natürlich möchte ich auch noch meine zweite Einsatzstelle, den Caritas Mötesplats, erwähnen. Sonja und ich haben in der Zeit von Ende August bis Mitte Oktober gemeinsam mit Konrad dort gearbeitet. Der Treffpunkt für bedürftige Menschen liegt in Stockholm und bot in der Zeit meiner Tätigkeit Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs für all diejenigen an, die darauf angewiesen sind. Wegen der Coronapandemie war es auf diese Weise möglich, den Bedürftigen zu helfen, obwohl es die eigentliche Mission des Mötesplats ist, Schwedischkurse und Beratung für Menschen anzubieten, die nach Schweden geflohen sind oder einfach nur ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Probleme suchen.
Zwischen "Hamsterkauf" und multilingualer Fika
Dienstags erledigten wir Praktikanten immer einen riesigen Einkauf gemeinsam mit Manuel und Maria, einem älteren Ehepaar, das sich freiwillig für die Caritas engagiert. Diese "Hamsterkäufe" zählen definitiv zu den schönsten Momenten meines Praktikums, denn es war immer wieder lustig, wenn extra für uns eine Kasse geöffnet wurde oder wenn wir anschließend die riesigen Lebensmittelmengen in die Autos verfrachteten. Danach wurden wir meistens noch von Manuel und Maria zu einer Fika eingeladen. Die beiden sprechen eigentlich nur Spanisch und Schwedisch, aber die Kommunikation klappte irgendwie doch erstaunlich gut. Und so fanden wir immer wieder etwas, über das wir erzählen konnten, sei es die Coronalage in Spanien oder die diesjährigen Nobelpreisträger.
Immer eine herzliche Atmosphäre
Am Mittwoch und Donnerstag teilten wir dann die eingekauften Lebensmittel an die Besucher des Mötesplats aus. Es war jedes Mal wieder ein gutes Gefühl zu sehen, wie sehr sich die Menschen über unsere Hilfe freuten. Fast alle bedankten sich mit einem Lächeln bei uns. Auch Marie, eine Mitarbeiterin des Bischofsamtes und Mitverantwortliche für den Mötesplats, verabschiedete sich jedes Mal mit "Tusen tack!" (Tausend Dank) oder "Tack så jätte mycket!" (Vielen vielen Dank) bei uns, wodurch ich mich immer wohl und aufgenommen gefühlt habe. Mir ist so auch bewusst geworden, dass wir Praktikanten eine wirkliche Hilfe sind. Neben Marie, Manuel und Maria halfen auch Nader, ein Freiwilliger aus Ägypten und Rita, eine Pensionärin aus Ungarn, beim Verteilen der Lebensmittel. Alle sind mir während des Praktikums sehr ans Herz gewachsen, und ich denke gerne an die Kaffeepausen und die herzliche Atmosphäre bei der Caritas zurück.
IKEA, Cafés, Second-Hand-Läden und viele Wanderungen
In meiner Freizeit habe ich sehr viel mit Clarita, Sonja, Hannah, Johanna und Konrad unternommen. Beispielsweise besuchten wir überdurchschnittlich oft ein gewisses schwedisches Möbelhaus, um in den Genuss von Köttbullar und Potatismos zu kommen. Aber nicht nur das gehört zu den kulinarischen Highlights in Schweden, weshalb wir uns natürlich auch die Café-Kultur mitsamt Zimtschnecken oder Kuchen in sämtlichen Sorten nicht entgehen lassen konnten. Meine beiden liebsten Cafés sind mit der Zeit das Café Storken (gemütliche Sessel und Sofas, perfekt zum Kartenspielen und Leute beobachten) und das Café Jorden är blå som en apelsin (internationales Frühstück rund um die Uhr, beste Musikauswahl) geworden. Außerdem machte es mir immer großen Spaß, durch die zahlreichen Second-Hand-Läden in Uppsala und Stockholm zu stöbern.
In Stockholm haben wir uns auch das Vasa Museum und das Nationalmuseum angeschaut, was mir ebenfalls sehr gefallen hat. Zum Glück haben wir das schon am Anfang des Praktikums unternommen, denn die Museen schlossen während des Winters im Zuge neuer Covid-Regelungen. Am Wochenende sind wir oft auch wandern gegangen, beispielsweise nach Gamla Uppsala, das historische Uppsala, oder in das ein oder andere wunderschöne Naturreservat. Dabei hat mich die vielfältige Natur Schwedens immer wieder aufs Neue beeindruckt, ob beim Blaubeerenpflücken oder Pilzesammeln.
Immer ein Wochenende wert: Marieudd
Besonders viel haben wir auch immer im Ferienhaus des Newman, in Marieudd, erlebt. Für mich war bei den vielen Ausflügen dorthin immer das Baden im See direkt vor der Haustür das, worauf ich mich am meisten gefreut habe. Sogar bei 4 Grad haben wir es uns getraut, "schwimmen" zu gehen. Danach saßen wir aber natürlich wieder schnell drinnen am warmen Feuer, um uns aufzuwärmen. Überhaupt ist Marieudd einer der schönsten Orte, die ich während meines Praktikums kennenlernen durfte. An einem besonders tollen und lustigen Wochenende waren neben uns Praktikanten und Ricarda auch die Jesuiten Philip, Fred und Jörg, unser Hausmeister Dan und Ruth, eine ehemalige Praktikantin, dabei. Als abends alle müde vom Bäumefällen, Holzhacken und Motorsägen waren, saßen wir noch um den Kamin herum und sangen gemeinsam Lieder. Eine weitere schöne Erinnerung an Marieudd ist das Paddeln, wozu uns Philip eingeladen hatte. Vorher habe ich sowas noch nie ausprobiert, und es war wirklich eine einmalige Erfahrung, auf dem ruhigen Gewässer zu treiben und die stille Landschaft auf mich wirken zu lassen.
Vielfältige Erfahrungen mit der katholischen Kirche in Schweden
Die katholische Kirche in den nordischen Ländern war uns auf dem Praktikantenseminar immer als lebendig und jung beschrieben worden. Es wurde aber gleichzeitig gesagt, dass gerade bei den jüngeren Menschen häufig konservative Ansichten vorherrschen würden. Vor dem Praktikum konnte ich das nicht so richtig miteinander in Einklang bringen. Als ich dann in Uppsala zusammen mit Sonja und Clarita zu der Studentengemeinde der katholischen Kirche St. Lars gegangen bin, habe ich erst wirklich verstanden, was damit gemeint war.
Da viele Katholiken aus anderen Ländern kommen und speziell in der Studentengemeinde zum Studieren in Schweden sind, bringen sie alle ihre eigenen traditionellen Vorstellungen mit. Auch wenn ich die meisten Ansichten von ihnen nicht unbedingt teilen kann, versuchte ich dennoch, mit einem offenen Ohr hinzuhören und zu verstehen, warum manche die ein oder andere Position vertreten. Das war für mich eine neue Erfahrung, die mich offener und toleranter gegenüber Menschen mit anderen Vorstellungen, als ich sie habe, gemacht hat. Als positiv habe ich auch empfunden, dass die Menschen die Traditionen aus ihren Heimatländern, wie bestimmte Gesten oder Gesänge in ihren Muttersprachen, in die Gottesdienste mit eingebracht haben, was jede Messe bereichert hat.
Kreativ sein trotz Corona: PIN-Podcast und Renovierungsarbeiten
Ende Oktober wurden durch das schwedische Gesundheitsministerium neue Empfehlungen zur Pandemiesituation veröffentlicht, weshalb es uns nicht mehr möglich war, zu den Einsatzstellen in Stockholm zu fahren und dort zu arbeiten. Diese Zeit habe ich als sehr herausfordernd empfunden, da nicht abzusehen war, wann wir wieder in unseren inzwischen schon normal gewordenen Alltag zurückkehren könnten. Auch in Kombination mit der frühen Dunkelheit und dem trüben Wetter war es für mich schwierig, mich weiterhin motivieren zu können. Doch irgendwie sind uns trotzdem Ideen gekommen, um diese Zeit überbrücken zu können.
Besonders stolz bin ich auf unseren "Podcast im Norden", denn dieses Projekt hat mir sehr, sehr viel Spaß gemacht, und ich habe viel Neues rund um´ s Interviewführen gelernt. Ich hätte nie gedacht, dass ich während des Praktikums auch in diesem Bereich Erfahrungen sammeln würde. In diese Zeit fiel auch, dass Johanna und Hannah aus Vadstena zu uns nach Uppsala kamen. Hannah blieb bei uns und Johanna verabschiedeten wir. Die drei Wochen gemeinsam mit ihr waren wirklich lustig und ein schöner Abschnitt in meinem Praktikum.
Ein besonderes Projekt für uns war auch die Renovierung des Newman-Cafés. Um den Aufenthaltsraum noch gemütlicher und fika-tauglich zu machen, ballten wir unsere gesamten Innendesignerkräfte. Nachdem wir die passende Wandfarbe und andere notwendige Utensilien, wie Tape zum Abkleben und Vlies (was heißt das nochmal auf Schwedisch?) besorgt hatten, konnte die Verwandlung starten. Das Streichen gelang uns noch besser als wir uns eine Byggplats (Baustellen-) Playlist zusammenstellten und zu den Klängen deutscher und schwedischer Klassiker den Pinsel schwangen (Was machen wir, wenn jetzt jemand reinkommt?). Nach einer Woche harter Arbeit waren wir mit der Renovierung fertig und konnten das Café als unser gemütliches "zweites Wohnzimmer" in der dunklen Jahreszeit für viele Fikas, Wizard-, Rommé- und Phase-10-Runden, das Weihnachtsfest und sämtliche Reflexionsgespräche nutzen.
Winterzeit: Luciadagen, Weihnachten und Silvester
In der Adventszeit ist für mich vor allem der 13. Dezember, der Festtag der heiligen Lucia, im Gedächtnis geblieben. Da keine Luciakonzerte in Kirchen stattfinden konnten, stiegen die Lucia und ihre Begleiter auf das Schlossdach in Uppsala und sangen von dort aus die traditionellen schwedischen Lieder rund um Licht und Dunkelheit. Hannah, Clarita und ich beobachteten das von unserem eigenen Dach aus und lauschten den fast magischen Klängen, die über die ganze Stadt zu hören waren. Das war definitiv die schönste Erfahrung, die ich mit der schwedischen Kultur während meines Praktikums machen durfte. Ebenso war das Weihnachtsfest in Uppsala, das wir Schweden-Praktikanten gemeinsam mit Lorenz feiern konnten, wunderschön. Aber darüber könnt ihr alles in Lorenz´ Blogbeitrag nachlesen. Auch an den Silvesterabend in Stockholm mit leckerem Essen und Sonjas Feuerzangenbowle denke ich gern zurück. Pünktlich um Mitternacht konnten wir von der Insel Skeppsholmen einen super Ausblick auf die Stadt und das Feuerwerk genießen.
Tack för allt- Danke für alles
Zum Ende möchte ich mich auch beim Bonifatiuswerk und allen Mitorganisatoren des Praktikums bedanken, denn die Betreuung habe ich stets als sehr hilfreich empfunden. Nach dem Praktikantenseminar im Juli habe ich mich gut vorbereitet und informiert gefühlt.
Mit Ricarda hatte ich immer eine direkte Ansprechpartnerin, wenn ich Fragen oder Schwierigkeiten mit etwas hatte. Außerdem fand ich toll, dass uns das Bonifatiuswerk bei unserem Podcast unterstützt und bestärkt hat. Um abschließend auf Ricardas Spruch zurückzukommen, glaube ich wirklich, dass mich mein Praktikum verändert hat.
Ich kann selbst kaum glauben, dass ich für einige Monate in einem anderen Land gelebt und gearbeitet habe und dort sogar Weihnachten gefeiert habe. Für mich war das ein großer Schritt, da ich mich direkt nach dem Abitur auf dieses Abenteuer eingelassen habe. So bin ich sehr stolz auf mich, dieses Praktikum absolviert zu haben. Auf jeden Fall bin ich selbstständiger und mutiger geworden. Ich habe während dieser Zeit unglaublich viel erlebt und kam mit Menschen aus der ganzen Welt in Kontakt.
Auch weil ich vor dem Praktikum noch nie in Schweden war, war ich sehr gespannt auf die Menschen, die Sprache und alles, was ich so erleben werde. Ich hätte nicht gedacht, nach dieser Zeit schon so viel Schwedisch verstehen zu können. Ich freue mich schon sehr darauf, irgendwann wieder meine Einsatzstellen zu besuchen und denke, dass ich noch oft nach Schweden reisen werde. Und so verabschiede ich mich und sage: Hej då och tack för allt!