Island lässt niemanden kalt. Das zeigen allein schon die vielen interessierten Nachfragen, wenn ich erzähle, dass ich für fünf Monate in diesem nordwestlichen Zipfel Europas gelebt und gearbeitet habe. "War es sehr kalt? Und dunkel?", wollen so gut wie alle von mir wissen. "Sind dort wirklich so viele Touristen"? Und – mindestens genauso wichtig: "Hast du Nordlichter gesehen?"
Oh ja, ich hatte das Glück, Nordlichter zu sehen. Auf einem Parkplatz ohne jede künstliche Beleuchtung, zehn Minuten Autofahrt von Akureyri entfernt. In der viertgrößten Stadt Islands hoch oben im Norden des Landes war ich gerade zu Besuch bei meiner Mitpraktikantin Judith, die dort den Karmelschwestern in deren Kindertagesstätte zur Hand ging.
Unvergessliche Naturerlebnisse
Schwester Marcelina borgte uns kurzerhand ein Auto, und Judith dirigierte mich vom Beifahrersitz aus zu dem verlassenen, finsteren Ort.
Allein der gigantische Sternenhimmel wäre es schon wert gewesen, dort eine Stunde andächtig in den Himmel hinauf zu sehen. Aber wir mussten nicht einmal warten, da zog oberhalb der Bergkette ein faszinierendes grünes Band über den dunklen Fjord. Spektakulärer wurde es, als ein grüner "Wasserfall" vom Himmel floss, es sah so aus, als rinne Wasser an einer imaginären Glasscheibe hinunter. Man muss es wirklich mit eigenen Augen gesehen haben.
Einige wenige Touristen hatten sich im Herbst tatsächlich noch in das 18.000 Einwohner große Städtchen verirrt, sicherlich vor allem der atemberaubenden Natur wegen. Wer größere Touristenströme nicht scheut, darf sich getrost im Hochsommer auf die "Golden Circle-Tour" unweit der Hauptstadt Reykjavik machen. Hier kann man wichtige Highlights der Insel bequem an einem Tag abgrasen, darunter den lebhaften Geysir Strokkur, den beeindruckenden "goldenen Wasserfall", den Nationalpark Thingvellir und als Bonus vielleicht noch eines der isländischen Vorzeige-Gewächshäuser für Tomaten. Die Busfahrer erzählen unterwegs viel Wissenswertes über Geschichte und Geographie des Landes.
Einsatz in der Diaspora Islands
Zum Stichwort "Hochsommer" möchte ich betonen, dass man etwa 12 bis 15 Grad bei starkem, kühlen Wind erwarten darf. Mit ganz viel Glück erlebt man manchmal kuschelige 20 Grad und Sonnenschein. Im August hatte ich tatsächlich eine ganz erstaunliche Kette solcher Glücktage. In den ersten Nächten erschwerte die lang anhaltende Helligkeit aber auch das nächtliche Einschlafen. Die Winter sind in Küstennähe erstaunlich mild.
Die lammfellgefütterten Boots kamen nur sporadisch zum Einsatz. Mit nur vier Stunden Tageslicht lässt es sich ein Weilchen ganz gut aushalten.
Wenn die drängendsten Fragen zu Kälte, Dunkelheit, Touristenmassen und Nordlichtern beantwortet sind, werde ich gewöhnlich noch zu meiner Arbeit in der katholischen Diaspora Islands befragt. Nur etwa 13.000 der 340.000 Einwohner Islands sind als Katholiken registriert. In der Mehrzahl wanderten sie aus Polen und von den Philippinen ein, um hier zu arbeiten.
Wenn sich sonntags nach dem Hochamt die katholischen Gemeindemitglieder zum "Kirchenkaffee" im Gemeindesaal in f trafen, saßen auch drei pensionierte Krankenschwestern aus Deutschland in gemütlicher Runde beisammen, die es dauerhaft hierher verschlagen hatte.
Von Montag bis Sonntag haben zwei ganz unterschiedliche Aufgabengebiete meinen Arbeitstagen Struktur gegeben. Vormittags half ich einer Gemeinschaft aus sechs Mutter-Theresa-Schwestern, ein kostenloses Frühstück für 20 bis 40 Bedürftige aufzutischen. Zum Monatsende stieg die Zahl der Gäste stets merklich an. Das herzliche Klima bei den Schwestern machte die Arbeit dort sehr angenehm, sogar den täglichen, 90minütigen Marathon am Handspülbecken.
Zum Mittagessen wurde ich werktags im Bischofshaus erwartet, wo Zofia, die polnische Köchin, ein Drei-Gänge-Menü zubereitet hatte für Bischof David Tencer, drei weitere Priester und den Pastoralassistenten Ivan, der gleichzeitig mein Ansprechpartner vor Ort war. Zu dieser internationalen Tischgemeinschaft gesellten sich oft auch Gäste, meistens jedoch kein gebürtiger Isländer. Gesprochen wurde ein Mix aus Englisch und slawischen Sprachen, Deutsch eher sporadisch.
An den Nachmittagen gab es für mich einige Verwaltungstätigkeiten im Bischofshaus zu erledigen. Ich durfte unter anderem die nordische Bischofskonferenz mit vorbereiten, bei Bedarf auch die Unterkünfte für Gäste des Bistums herrichten.
Bei gewöhnlich zwei Vorabendmessen und vier Sonntagsmessen in der Domkirche (auf Isländisch, Polnisch, Englisch und Spanisch) gibt es immer viele vor- und nachbereitenden Arbeiten, in die ich ebenfalls mit eingebunden war.
Isländisch lernen und erleben
An drei Abenden pro Woche nahm ich mir noch Zeit, um in einer internationalen Gruppe intensiv Isländisch zu lernen. Die Aussprache und Betonung der teils vollkommen fremden Buchstaben waren dabei eine interessante Herausforderung. Da die isländischen Arbeitskollegen teilweise fließend Englisch und vereinzelt sogar Deutsch sprachen, gab es insgesamt kaum Verständigungsprobleme.
Ganz Island besteht aus fünf nur flächenmäßig großen katholischen Pfarreien, die von 15 Priestern betreut werden. Wenn man von Reykjavik aus nach Norden fährt, hat man die Pfarrei nach drei Stunden immer noch nicht verlassen. Diese besondere Diaspora-Situation war für mich als Paderbornerin ebenso ungewohnt wie spannend. Island hatte für mich daher nicht nur als kulturell Interessierte und Naturliebhaberin viel zu bieten. Es war vor allem ein ganz besonderes Erlebnis, für einige Monate in die multikulturelle Gemeinschaft der Katholiken im Land so herzlich aufgenommen zu werden. Ich bin dem Bonifatiuswerk sehr dankbar, dass es mir diese vielfältigen Erfahrungen ermöglicht hat und kann Interessierte nur ermuntern, Island näher kennen zu lernen. Dieses tolle Land lässt euch ganz sicher nicht kalt.