Es gibt Menschen und Menschen. Es gibt Menschen, die für Spontanität geboren worden sind und es gibt Menschen, die alles planen müssen. Ich persönlich halte es da mit Kohelet, der sagt:“Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.“ (Koh 3,1)
Ich bin zwar auch eher der Planende, bin aber auch ein relativ spontaner Mensch. Auch dieses Mal war ich vorbereitet, wollte es nicht einfach auf mich zu kommen lassen. Ich spreche von dem Ende meines Jahres hier in Uppsala. Ende…etwas, dass mich traurig und glücklich zugleich macht.
Wie gesagt, stehe ich nun am Ende einer wundervollen Reise, die mich quer durch Schweden, in die Pfalz bis nach Riga gebracht hat. Doch was sind schon Orte, Monumente, Denkmäler und Paläste, ohne die Menschen, die sie bewohnen und ohne die Menschen mit denen man diese Monumente der Geschichte besucht?
So will ich hier in meinem allerletzten Bericht über Schweden nicht zu sehr über die Orte sprechen, sondern eher über die Menschen, die ich dort traf, denn sie machen dieses Land erst unvergesslich. Was sind Erinnerungen wert, wenn niemand da ist, der sie mit mir erinnert?
Musik in den Ohren - Rosenkranz über Skype
So will ich erzählen von Uppsala. Uppsala ist eine interessante und belebt unbelebte Stadt. Sie ist eine Stadt, die eine lange und alte Geschichte hat. Nun könnte ich vom Schloss berichten, von dem aus man den schönsten Blick über die Stadt hat. Ich könnte nun über den Dom schreiben, dessen neogotische Bauweise einen Besucher verzaubern kann, wenn er es nur zulässt. Ich könnte von den Wäldern und Parks erzählen, in denen es sich herrlich spazieren gehen lässt und man vergisst in mitten einer Stadt zu sein. Ich könnte von der Kirche S:t Lars erzählen, von den Messen und Gebeten, von ihrer Architektur und Geschichte.
Ich will euch von den jungen Menschen in Uppsala erzählen, die sich voller Lebensfreude scheinbar ins Leben stürzen. Sie ziehen singend und rufend durch die Straßen, sie feiern und jubeln bis in die Nacht. Sie sitzen aber auch allein und gelassen in Cafés oder am Flusssteg. Manchmal mit einem Buch, dass sie offensichtlich fasziniert, meistens aber mit Musik. Wie oft habe ich mich gefragt, welche Musik sie wohl gerade hören und was sie wohl denken mögen, wenn sie diese Musik hören? Wie oft habe ich mich selbst von der Ruhe an dem Steg verzaubern lassen oder von den gemütlichen Bänken im Park? Einfach sitzen und leben lassen! Doch wie oft sind die Menschen hier auch in einem ungesunden Stress, in einer unglaublichen Hetze, die nicht abreißen will.
Ich will euch von den jungen Menschen in der Kirche erzählen, die trotz einer sozialen Außenseiterrolle in der Gesellschaft ihren Glauben überzeugt und fasziniert bekunden. Dies tun sie nicht in dem sie Videos auf Facebook posten oder lange Reden vor ihren Freunden schwingen. Sie tun es, in dem sie eine lebendige Beziehung zu Christus vorleben. Sie leben den Glauben im wahrsten Sinne des Wortes. Viele Menschen lassen sich von der Weisheit und dem Glauben alter Mönche in den Bergen inspirieren. Ich habe mich inspirieren lassen von 18 jährigen jungen Menschen, die Donnerstagsabends in die Messe gehen. Mitten in der Woche lassen sie ihren Alltag ruhen und suchen sie Stille der Kirche und die Begegnung mit Gott im Tabernakel. Willst du die Wahrheit erkennen, schaue ihm in die Augen., sagt man oft. Ich sage, dass es auch hier stimmt! Sieh ihnen in die Augen, wenn sie beten. Schaue sie an, wenn sie singen und du wirst Glauben finden in einem Land, in dem Glauben mit Dummheit gleichgesetzt wird, wie mir u.a eine Arbeitskollegin bei KPN in Stockholm aus ihrer Jugend erzählte.
Ich will dazu aufrufen selbst zu kommen um sich selbst ein Bild zu machen! Lasst euch selbst inspirieren von brennendem Glauben und lebendiger Hoffnung.
Ja, die Kirche hier hat auch seine Schattenseiten. Viele Dinge sind auch hier zu „verbessern“. Aber nennt mir einen Ort an dem die Welt perfekt ist? Schauend auf das Werdende und das schon Seiende, kann ich nicht umhin, dem Senfkorn Kirche hier in Schweden meine Bewunderung auszusprechen. Nicht wegen der monumentalen Bauwerke, die hier selten zu finden sind. Es ist auch nicht aufgrund der Menge der Rosenkränze, die man hier betet, sodass ich beeindruckt wäre. Meine Inspiration strömt aus dem Wie und dem Wer und nicht aus dem Was und Wie viel. Hier beten junge Menschen jede Woche zusammen den Rosenkranz. Beeindruckend, aber auch in woanders zu finden. Aber diese Menschen hier beten den Rosenkranz über Skype. Über Skype!! Auch ist es die Innovation der jungen Menschen ihren Glauben zu leben und ihre Bereitschaft zu solcher Kreativität um Kirche leben zu können, selbst wenn die 600km trennt. Wozu Globalisierung und moderne Technik doch alles gut sein kann...
Feuer in die Kirche Deutschlands bringen
Bringt mich Kirche in Schweden näher zu Christus? Ja, das hat sie tatsächlich getan. Habe ich Kritikpunkte? Oh ja. Macht es mich traurig Kirche in Schweden verlassen zu müssen? Nein, weil Kirche sein immer bedeutet ein Missionar zu sein, also gesendet zu sein. Und die Fackel braucht es nicht dort, wo das Feuer schon brennt, sondern da, wo man (wieder) im Dunkeln steht. Also bringe ich das Feuer mit nach Deutschland und hoffe, dass mein Feuer auch Andere entzündet. Ich kann die Kirche nicht „retten“. Ich kann aber, inspiriert von Schweden, mein Feuer nach Deutschland tragen und das Licht zeigen. Vielleicht entzündet der Heilige Geist das ein oder andere Feuer an den Meinen.
Erikshjälpen: Arbeit mit Geduld und Herzlichkeit
Ich will euch auch vom Erikshjälpen erzählen. Ich will euch erzählen, wie ich die Geschenke, die Menschen brachten (was theoretisch alles Brauchbare sein kann…) sortiert und geordnet habe. Die Hauptaufgabe und vielleicht einer der wichtigsten Orte ist dabei dieses Lager in einem geordneten Zustand zu halten, dafür zu sorgen, dass die „Sortierer“ eine Tür weiter immer neue Sachen bekommen und die vollen Boxen, in die man einsortiert, aus dem Weg schafft. Das braucht vor Allem ein sehr langen Atem, sehr viel Geduld, Muße und den Hang zum Alleinsein. Zudem braucht man ein fortgeschrittenes logistisches Können, was soweit noch nicht vorhanden, schnell antrainiert wird, da einem sonst die Decke auf den Kopf fällt. Diese Arbeit fördert besonders innovatives Arbeiten und Geduld.
Des Weiteren habe ich oft Möbel verkauft. Erst einmal eine sehr eintönige Arbeit, die öfters mal im Stress ausartet und nichts für Menschen ist, die schnell die Geduld verlieren. Hier sind es wie immer die tausend Arten von Menschen, die man trifft, die diese Arbeit lohnenswert machen. Es hat schon seine Faszination so viele Menschen zu treffen und mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Aber das Beste an diesem Second Hand Shop sind nicht einmal die Menschen, die dort hinkommen, um zu kaufen. Das Beste an diesem Laden sind die Menschen, die mit dir arbeiten. Es ist eine liebenswerte, chaotische und manchmal leicht schusselige Truppe mit denen es meistens sehr viel Freude macht zu arbeiten. Auch wenn ihr Arbeitstempo nicht unbedingt mit dem Meinigen übereinstimmt, ist ihre herzliche und fröhliche Art einfach sympathisch. Man muss sie einfach gern haben.
Was hat Kirche damit zu tun? Nun, Christ sein kann und muss man hier in Schweden vor allem unter Nichtchristen. Oft habe ich es erlebt, dass viele Menschen selbst die Grundbegriffe des Christentums nicht kennen. Manche waren neugierig und haben mit dem Fragen nicht mehr aufgehört und manche sind mir mit subtiler bis offener Abneigung begegnet, als ich mich offen zum Christentum bekannte. Die Tatsache, dass ich auch noch Katholik bin, macht es umso schwieriger. Vor allem die ältere Generation tritt einem mit sehr vielen Vorurteilen gegenüber, die zu überwinden gar nicht leicht sind. Hier half oft Geduld und Herzlichkeit.
Schließlich kamen Menschen auch zu mir und fragten mich, was verschiedenste scheinbar christliche Dinge und Begriffe bedeuteten. Sei es, sie hatten es auf Bildern gesehen oder in Büchern gelesen. Kamen christliche Artefakte hinein, wie zum Beispiel „Ikonen“, kam es des Öfteren dazu, dass ich gefragt wurde, was das ist, warum es so ist und ob es noch „verkaufbar“ sei.
Ein bewusster Einsatz für Christus
Auch will ich euch erzählen von meiner Arbeit bei KPN. Was ist das denn überhaupt? Der KPN ist die pädagogische Abteilung des Bistums Stockholms, der seinen Hauptsitz im Pastoralzentrum „Johannes Paulus II“ in der Altstadt von Stockholm hat. Das heißt, sie erstellen Katechetenmaterial jeglicher Art und zu jedem Thema, das den Katholischen Glauben betrifft und auch für jedes Alter. Diese Materialien sind meist in Heftform erhältlich und recht günstig im Netz zu erwerben. Ich persönlich war sehr von der sehr hohen theologischen und pädagogischen Qualität der Arbeiten beeindruckt und durfte ein Teil davon werden. Allerdings war meine Hauptaufgabe, die Ergänzung und Verbesserung der neu erstellten Internetseite von KPN. De facto habe ich also die alten Materialien von der alten Seite auf die neue Seite übertragen und habe dem ganzen ein akzeptables neues Design gegeben. Das war sehr zeitaufwendig und bedurfte einer Menge Geduld, doch hat es mir eine Menge Freude gemacht. Vor allem hat es Freude gemacht, weil es ein sehr nützliches und praktisch ersichtliches Ergebnis hervorbrachte, das nun umso mehr Menschen hilft.
Schließlich durfte ich noch ihre Katechetenhefte zu den Themen Heiligen, Kirchenjahr und den Sakramenten vollkommen neu überarbeiten (in Letzterem bin ich sogar auf den ersten Seiten als überarbeitender Helfer namentlich genannt!). Auch das war ziemlich spannend, wenn auch hier zu sagen ist, dass der Prozess sich sehr lang zog und dies teilweise sehr anstrengend gewesen ist.
Dennoch muss auch hier gesagt werden, dass es die Menschen sind, die diesen Praktikumsort so aufregend gemacht haben. Pakete tragen, Briefkuverts fertig machen, sind erst mal nicht die spannendsten Aufgaben, aber ich spreche immer noch von einem Praktikum. Dies schließt meist Arbeiten ein, für die Andere keine Zeit haben. Doch die Menschen gehören zu den freundlichsten und umgänglichsten Menschen, die ich kenne. So lieb und herzlich wurde ich bis jetzt nur selten in eine Gruppe aufgenommen. Mein Schwedisch wurde dort übrigens auf ein halbwegs akzeptables Niveau gebracht.
KPN und Kirche? Wir haben jeden Mittwoch mit viel Liebe und Begeisterung unten in der Kapelle die Heilige Messe gefeiert. Bei KPN arbeiten viele tiefgläubige und begeisterte Menschen, die alle mit der viel Freude und Hingabe an den Projekten arbeiten. Zusammen bringen sie eine unglaubliche Leidenschaft und Innovation auf, was deutlich im Endergebnis zu sehen ist. Hier steht nicht nur katholisch drauf, hier ist katholisch drin. Bei jeder Arbeit, die getan wird, ist das Bewusstsein da, dass man es für Christus tut.
Freundschaft ist wertvoll
Ich habe viele Erfahrungen in diesem Jahr gemacht. Gute und schlechte, freudige und traurige Erlebnisse gehören zu meinen Erinnerungen. In dieser Hinsicht hat sich nichts verändert in dem Jahr hier in Uppsala. Das hatte ich aber auch nie erwartet. Ich hatte erwartet herausgefordert zu werden von einem sehr säkularen Land, einer kleinen und wachsenden Kirche und von einer doch schon anderen Kultur und ich habe genau das erhalten. Ich wurde gefordert: menschlich, christlich, intellektuell und emotional. Ich habe neue Freunde gefunden und Menschen getroffen, die meinen Lebensweg entscheidend beeinflusst haben, ohne dass sie es selbst wissen. Ich bin als Mensch gewachsen an den Herausforderungen Schwedens, habe meinen Glauben inspirieren lassen und bin tatsächlich gewachsen in meiner Entscheidung auf dem Weg zum Priesteramt.
Das ist es, was Kirche in Schweden für mich ausmacht: Inspiration. Natürlich ist dies nur eine Facette von vielen Anderen, aber ist es für mich die eine Sache, die heraussticht. Ich komme aus einer Stadt, in der die katholische Welt scheinbar unaufhaltbar untergeht. Doch hier traf ich zum ersten Mal in meinem Leben eine aufstrebende, junge und dynamische Kirche. Eine Kirche, die versucht die Spannung zwischen Tradition und Innovation zu halten und in dem Maße, in dem ich überhaupt in der Lage bin dies zu beurteilen, würde ich sagen, das ihr dieses Vorhaben oft gelingt.
Würde ich es wieder machen? Basierend auf die Beobachtung, dass sich alle meine Erwartungen erfüllt haben, sähe ich keinen Grund es nicht wieder zu tun. Ist alles erreicht, was erreicht werden wollte, was soll ich mich dann beschweren?
Selbstverständlich gab es auch Schwierigkeiten und Konflikte in nicht unerheblichem Maße, doch gehört so etwas zum Leben dazu und gibt mir die Möglichkeit als Mensch zu wachsen und zu reifen. Außerdem möchte ich die Begegnungen, die ich hier hatte nicht missen. Ich habe hier neue Freunde gefunden und nur wenige Dinge auf dieser Welt sind ähnlich wertvoll wie ein richtiger Freund. Was also will ich mehr?