Zugegeben: die weihnachtliche Stimmung bei unseren Familien, Deutschland bereits am 27. Dezember zu verlassen, fühlte sich zunächst wirklich etwas komisch an. Gerade noch feierte man festlich Weihnachten und nur wenige Stunden später machten wir uns auf die lange Reise nach Riga. Gemeinsam mit einer Gruppe von Religionspädagogik-Studenten ging es für uns am Vormittag des 27. Dezembers vom Pauluskolleg in Paderborn aus los in die Hauptstadt Lettlands, um dort am europäischen Jugendtreffen der Gemeinschaft von Taizé teilzunehmen.
Nachdem wir unser Gepäck in den drei gelben Bonibussen verstaut hatten, starteten wir, Anna Nick mit den Schweden-Praktikanten Maris Lohmöller, Magdalena Overberg und Marcel Fischer, bei bestem Reisewetter und freien Autobahnen Richtung Osten. So erreichten wir sechs Stunden später die Autobahnkirche bei Bautzen. Dort wartete bereits eine weitere Passagierin auf uns: unsere Mitpraktikantin Raphaela Polk. Nach einer gefühlt nie enden wollenden Fahrt durch Polen, die Größe des Nachbarlandes haben wir bei Weitem überschätzt, erreichten wir nach einer langen Nacht gegen 10 Uhr die Grenze zu Litauen. Das Tempolimit von 90 km/h auf den litauischen Autobahn, die eher einer abenteuerlichen Landstraße ähnelt, machte uns zwar nicht wacher, aber mit den Ziel vor Augen ging die Fahrt für uns munter weiter. Nach 26 Stunden im Bonibus, den wir auf den Namen „Dieter“ tauften, erreichten wir am Nachmittag des 28. Dezember unser Ziel: Riga!
Bei der Einfahrt in die Stadt wurden wir von der „ungewohnten“ Verkehrsführung und den Kopfsteinpflaster-Straßen in der Altstadt wach-geschaukelt. Unser erster Anlaufpunkt war das Welcome Center für alle deutschsprachigen Pilger in der St. Peter-Kirche. Dort bekamen wir alle wichtige Informationen für die kommenden Tage und wurden außerdem von Matthias Hein begrüßt. Danach fuhren wir weiter zum Kloster der Dominikanerinnen von Bethanien, das wir nach einer 15-minütigen Fahrt erreichten. Dort trafen wir in einem Gewusel aus Pilgern aus Spanien, Polen, Slowenien und der Ukraine auch auf Schwester Hannah-Rita Laue und die Bonifatiuswerk-Praktikantin Hannah Olbrich, von denen wir ebenfalls herzlich willkommen geheißen wurden.
Nach einem kurzen Kennenlernen mit unseren lieben Gastfamilien ging es mit dem Bonibus am Abend zum ersten Gebet mit den Taizé-Brüdern. Um die 15 000 Teilnehmer aus ganz Europa und auch einigen weit entfernten Ländern wie Korea und China unterzubringen, fanden die Abendgebete an zwei unterschiedlichen Orten statt. Wir fuhren jeden Abend in die Messehalle auf der Insel Kipsala. Die bekannten Taizé-Gesänge einmal mit den Brüdern aus Taizé und so vielen anderen Jugendlichen gemeinsam zu singen war eine schöne Erfahrung.
Nach diesem ersten Eindruck fielen wir müde in unsere Betten bei den Gastfamilien. In den folgenden drei Tagen sah unser Tagesablauf ähnlich aus: nach einem Morgengebet bei den Dominikanerinnen hatten wir in Kleingruppen ein Bible-Sharing. Hier war es besonders interessant Meinungen und Erfahrungen der Jugendlichen aus den anderen Ländern zu hören. Doch eines haben wir wohl alle gemeinsam: Ängste und Hoffnungen, bei Themen wie Klimawandel oder Terrorismus.
Die Nachmittage nutzen wir unter anderem für kürzere und längere Erkundungen in Riga. Die Stadt ist historisch wirklich spannend und die Architektur einmalig. Hannah Olbrich ging mit uns typisch lettisch essen und eine unserer Gastmütter zeigte uns bei einer Stadtführung viele Ecken der historischen Altstadt und das beeindruckende Jugendstil-Viertel. Dadurch, dass in Riga viele orthodoxe Christen leben, war in der ganzen Stadt noch Weihnachtsstimmung zu spüren und die Weihnachtsmärkte hatten noch geöffnet. Nach den Mittagsgebeten, die immer in einer anderen Kirche Rigas stattfanden, nutzten wir die Workshop-Angebote von Taizé. Einige von uns besuchten die prachtvolle orthodoxe Kathedrale, andere eine Diskussion über die Einheit der EU und gemeinsam erlebten wir ein absolutes Highlight: eine Veranstaltung mit traditioneller lettischer Volksmusik und Volkstänzen, bei der auf einmal alle Teilnehmer in einer Polonaise durch die Veranstaltungshalle tanzten. Einfach toll! Nach dem Abendessen mit anschließendem Abendgebet in Kipsala fuhren wir allabendlich wieder in unsere Gastfamilien. Für manche von uns und auch für den Bonibus ein allabendliches Abenteuer: zwei von uns wohnten nämlich bei einer Familie auf dem Land. Das Dorf und das Haus besitzen keine Adresse, sodass man sich nur sehr vage dorthin navigieren kann. Doch auch nach vielen Umwegen und leichten Zweifeln brachte uns der Bonibus immer wieder ans Ziel.
Die Silvesternacht verbrachten wir bei den Dominikanerinnen. Einmal betend und nicht mit Raclette, Böllern und „Dinner-for-one“ das neue Jahr zu beginnen war schon etwas Besonderes. Nach dem Gebet für den Weltfrieden begrüßten wir aber mit Wunderkerzen das Jahr 2017 und danach begann das bunte „Fest der Nationen“, bei dem jede Ländergruppe Lieder oder Tänze vorführte. Sogar auf engstem Raum in der Kapelle konnten alle bei der Polonaise der polnischen Teilnehmer einsteigen.
Am 1. Januar ging es dann etwas ruhiger zu. Nach der Messe fuhren wir mit unserem Bonibus „Dieter“ zum katholischen Gymnasium in Riga. Denn das ist sein neues Zuhause. Dort übergaben wir den Bus an die überglückliche Direktorin Anna Jermakoviča. Der Bus wird dort dringend gebraucht, um Schüler zum Beispiel zu Ausflügen zu fahren. Den restlichen Tag verbrachten wir bei unseren Gastfamilien, die uns mit einem leckeren Mittagessen verwöhnten.
Anders als die anderen Teilnehmer des Taizé Jugendtreffens blieben wir noch zwei Tage länger in Riga, um uns gegenseitig und den Praktikumsort Riga kennenzulernen. Schliesslich sind wir alle ein Teil des selben Praktikantenprogramms, auch wenn die Entfernungen manchmal weit sind. Am 2. Januar führte uns Matthias Hein durch einen bedrückenden Teil lettischer Geschichte: bei der Fahrt durch das ehemalige jüdische Ghetto und beim Besuch des Mahnmals für Ermodete Juden und Widerstandskämpfer während des 2. Weltkriegs kam bei uns allen eine leicht sentimentale Stimmung auf. Viele von uns erfuhren wohl zum ersten Mal davon, dass auch nach Riga viele deutsche Juden deportiert wurden. Ebenso berührend war der Besuch des alten Bahnhofs, von dem aus bis 1949 lettische Bürger unter der Regierung der Sowjets nach Sibirien deportiert wurden. Dort steht auch noch einer der Zugwaggons. Ein Kapitel der Geschichte, das für uns kaum bekannt ist, aber bei vielen Letten noch sehr lebendig ist und viele Emotionen hervorruft. Bei Schneefall und eisigen Temperaturen ging es für die Praktikantentruppe ans Meer in der Stadt Jurmala, dem ehemaligen Kurort der Sowjetunion. Wagemutig trauten sich einige sogar ins Meer – zumindest mit den Füssen.
Nach einer knappen Woche in Riga, in der wir alle viele neue spirituelle und kulturelle Eindrücke und Erfahrungen sammeln durften, ging es am 3. Januar für uns zurück nach Schweden. Die Tage in Riga haben den Praktikanten ausserdem das Gefühl gegeben Teil einer Gemeinschaft zu sein, auch wenn man als einziger Praktikant an einem Ort ist. Die Praktikanten sind zu einer Gruppe zusamengewachsen und freuen sich auf ein weiteres Treffen in Schweden. Für die Rückreise nahmen wir aber doch lieber das Flugzeug und “Dieter” haben wir in seiner neuen Heimtat Lettland gelassen.
Wir danken dem Bonifatiuswerk für die Möglichkeit diese Reise zu machen! Ausserdem gilt unser Dank Matthias Hein, Hannah Olbrich und Schwester Hannah-Rita Laue für den herzlichen Empfang und die gemeinsame Zeit in Riga, sowie unseren unbeschreiblich engagierten und lieben Gastfamilien!
- Anna Nick, auch im Namen aller Praktikanten
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