Martin Schwentker ist seit vier Wochen in Riga - ein erster Erfahrungsbericht
Nun ist doch schon das erste Drittel meiner Zeit in Riga vorbei – seit gestern sind die ersten vier Wochen meines Praktikums verstrichen.Irgendwie habe ich ein leicht widersprüchliches Gefühl bei diesem Gedanken. Auf der einen Seite fühle ich mich mittlerweile sehr heimisch im Exerzitienhaus der Dominikanerinnen von Bethanien, auf der anderen Seite bleiben die neuen und spannenden Eindrücke. Zum Glück gab das Wetter in Deutschland mir schon vor meinem Aufbruch die Chance, mich mit ein bisschen Schnee an das vermeintlich kältere Klima in Lettland zu gewöhnen. Nach einem sehr schönen Empfang am Flughafen von Sr. Hannah und einem Rundgang im Exerzitienhaus des Klosters, meinem momentanen Zuhause, erkundete ich in den nächsten Tagen das wunderschöne Riga und lebte mich ein. Nach der ersten Orientierungsfahrt am nächsten Tag mit Matthias Hein, meinem Begleiter im Praktikum, hatte ich schon einmal ein paar Einblicke in diese fremde Stadt, allerdings auch in die mir unbekannte Kultur. Ich stellte schnell fest, wie anders doch Lettland zu den mir bisher Bekannten ist. Die Menschen, die Kultur und auch nicht zuletzt der gelebte Glaube unterscheiden sich von dem, was ich in Deutschland kennen gelernt habe.
Die Geschichte des jungen Nationalstaates Lettland, mit den deutschen und sowjetischen Besatzungen des 20. Jahrhunderts, zeigt sich immer noch in den Menschen und der Gesellschaft. Eindrucksvoll wurde mir das in meiner ersten Woche zu den Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen der Unabhängigkeit im Dom von Riga bewusst.
Noch immer ist ein großer Teil der Bevölkerung Lettlands aus der ehemaligen Sowjetunion. Auf diesem gedanklichen Hintergrund ist meine Mitarbeit in verschiedenen Projekten besonders spannend. Neben punktuellen Projekten, wie z.B. ein Taize Gebet auf dem Land außerhalb Rigas, oder pastoraler Jugendarbeit, bin ich mittlerweile zweimal in der Woche im Familienkrisenzentrum des lettischen Roten Kreuzes eingesetzt, um dort nachmittags mit Jugendlichen Hausaufgaben zu machen, aber auch Zeit zu verbringen – zu spielen z.B., um die Jungs auf andere Gedanken zu bringen. Mittlerweile biete ich seit zwei Wochen einen Deutschkurs für Senioren im Svētās Ģimenes Māja an, einem Haus, in dem ganzheitlich pastoral in verschiedenen Bereichen gearbeitet wird. Eine super Gelegenheit, um auch ein wenig Lettisch zu lernen. Weiterhin bin ich am Dienstagmorgen im Katholischen Gymnasium Rigas und helfe im Religionsunterricht einer Karmelitenschwester.
Hier im Kloster der Dominikanerinnen von Bethanien helfe ich natürlich auch mit. Als festen Termin am Sonntag in der Sonntagsschule zur Kommunionkatechese der Kinder im Umfeld des Klosters, aber auch punktuell in der hier ansässigen Kleiderkammer, oder wenn sonst etwas „hausmeisterliches“ anliegt – was in den ersten Tagen in Riga vor allen Dingen eins bedeutete: Schnee schieben. Eine wunderbare Arbeit und Zeit zum Reflektieren! Mittlerweile gibt es aber gar nicht mehr so viel Schnee. Mit meinen beiden Mentoren, Sr. Hanna und Matthias Hein, kann ich sehr offen über meine Erfahrungen und Eindrücke sprechen, was für mich sehr wichtig geworden ist.
Als Student der Religionspädagogik ist für mich natürlich der Aspekt des Glaubens, der Spiritualität und der Liturgie in der Zeit hier besonders interessant. Darum möchte ich dem Bereich hier noch ein paar Zeilen schreiben. Momentan nehme ich in den Bereichen und bei den Menschen, denen ich bisher hier begegnet bin, einen sehr tiefgehenden und gänzlich erfüllenden Glauben wahr. Ich muss gestehen, dass ich anfangs von der damit einhergehenden Spiritualität und Liturgie etwas überrascht war, da sie doch sehr anders ist zu dem, was ich bisher in Deutschland kennen gelernt habe. Wie auch der unabhängige lettische Staat konstituiert sich die lettische Kirche häufig erst. Ein allgemeingültiges übersetztes Altes Testament, das Stundenbuch oder die Texte des II. Vatikanischen Konzils gibt es noch nicht. Dabei ist der Glaube der katholischen Christen, wie ich ihn wahrnehme und auch nicht zuletzt durch die lettische Geschichte, sehr protestantisch geprägt – auf die Heilige Schrift geprägt.
Pastorale Mitarbeiter habe ich bisher kaum gefunden, nach Aussage meiner Mentoren gibt es die auch sehr wenig. Natürlich gibt es Priester, die weitere pastorale Arbeit übernehmen aber ausschließlich ehrenamtliche Mitarbeiter. Den Beruf des Gemeindereferenten zu erklären ist häufig nicht ganz so einfach, wird auch manchmal gar nicht verstanden, da es so unvorstellbar klingt. „Irgendwie so etwas wie ein kleiner Priester“ - ja…vielleicht. Aber diese Ehrenamtlichen sind sehr aktiv und machen aus dem sehr Wenigen, was sie hier vorfinden, ungemein viel. Strukturen und Finanzierungsmöglichkeiten, auf die zurückgegriffen werden kann, wie wir sie haben, gibt es kaum oder sind im Aufbau. Dennoch passiert sehr viel, vielleicht manchmal ein wenig aktionistisch und unstrukturiert – aber diese Einschätzung mag auch an meiner deutschen Sicht liegen.
Nach den vier Wochen gehört dies zu den spannendsten Eindrücken, die ich weiterhin und näher betrachten werde. Für heute soll es nun erst einmal reichen, in ein paar Minuten gibt es das
sonntägliche Mittagessen mit den Schwestern, danach beginnt die Sonntagsschule. Ich kann wirklich nur sagen:
Es esmu laimīgs – Ich bin sehr glücklich und auch dankbar, hier zu sein.
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Christiane (Sonntag, 21 Februar 2016 15:59)
Lieber Martin, vielen Dank, dass Du durch Deinen Bericht Andere an Deinen Praktikums-Erfahrungen teilhaben lässt. Wie besonders ist jede einzelne Erfahrung im Leben - ich freue mich, dass Du diese Erfahrungen in Riga erfahren darfst!
Viel Freude und Reflexion und Wachsen am Leben weiterhin!