Am nächsten Morgen wachten wir früh auf und begannen schon um 9 Uhr zu laufen. Die Morgensonne kitzelte unsere Nasen und die Vögel sangen ihr Morgenlied, während wir dem Olavsweg weiter folgten. Immer weiter bergauf und bergab durch schönste Wälder, bis wir nach zwei Stunden Otta erreichten. Eine schöne kleine Stadt, die tief im Tal lag und uns vor allem wegen des Supermarktes begeisterte, den sie hatte, denn schon wieder waren wir unglaublich hungrig. Geh niemals hungrig in einen Supermarkt. Dass hatten wir uns schon gestern vorgenommen, doch man vergisst diese Moral so leicht, wenn man hungrig ist. So kam es, dass Felicia und ich den Supermarkt betraten und willenlos vom Hunger gesteuert Mittagessen für vier Personen kauften. Doch als wir mit einer großen Einkaufstüte wieder hinaus kamen, saß vor dem Markt ein weiterer Pilger, der gerade mit Felix und Ahrild sprach. Groß, korpulent, lange Haare und nettes Gesicht, so beschrieb ich ihn am Abend nach unserer ersten Begegnung in meinem Notizbuch. Das erste was ich sah, war sein riesiger Rucksack, der wohl doppelt so groß war wie der meine. „Thomas“, stellte er sich vor und reichte uns die Hand zum Handschlag, den wir erwiderten ohne zu wissen, dass dieser Handschlag der Beginn einer tollen Freundschaft seien sollte. Während Felix, Felicia und ich aßen, sprachen wir mit Thomas über seine Pilgererfahrungen und fragten ihn, warum er den Olavsweg gehe. Er erklärte uns, dass er seinen Job gekündigt habe, weil er seine Arbeit zu langweilig fand und nun im Laufen nach seinem nächsten Lebensschritt suche, denn er wüsste, dass er tief im Inneren schon genau weiß, was er als nächstes machen wolle, er es nur noch finden müsse.
Nach einem tollen Mittagessen, ging es weiter zusammen mit Thomas. Noch nie waren wir eine so große Gruppe gewesen und so wurde uns auf den nächsten Kilometern definitiv nicht langweilig, denn es gab so viel zu erzählen.
Wir wanderten bis zur Sel Kirche, wo wir eine Rast am 284 Kilometer Stein machten. Ein unglaubliches Gefühl, denn wir wussten, dass wir schon über 400 km gelaufen waren. Gemeinsam machten wir
noch ein Foto vor dem Stein und dann ging es weiter in Richtung Nidaros. Unser Ziel war die Nord Sel Kirche und wir waren glücklich nicht mehr Bergauf und Berg ablaufen zu müssen, das
Dalegudbrants Tal hatten wir nämlich in Otta endgültig hinter uns und bis zur besagten Kirche führte der Olavsweg nur noch auf einer flachen Straße entlang. Thomas brachte uns während dieses
Wegteils ein Norwegisches Lied bei, dessen Text ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte, ihn aber leider nicht übersetzen kann. Dass einzige was ich weiß ist, dass es ein Liebeslied
ist:
Vi skal ikkje sova bort sumarnatta
Vi skal ikkje sova bort
sumarnatta
Ho er for ljos til det
Da skal vi vandra i somon
Ute, under dei lauvtungetre
Under, dei louvtungetre.
Während wir so sangen, tauchte am Ende der Straße die Spitze der Nord Sel Kirche auf, doch wir wanderten nicht bis an ihre Pforten, sondern machten auf einem Hof Halt, der ca. einen Kilometer
entfernt lag. Er nannte sich Jørundgård Middelaldersenter und war tatsächlich wie ein Mittelalterliches Dorf aufgebaut. Hier wollten wir heute Nacht schlafen, doch das erste, was wir sahen, waren
nicht etwa mittelalterliche Häuser, sondern Tiziana, die gerade ihr Abendbrot aß. Sie lachte und begrüßte uns über glücklich. Wir fragten sie, wie sie es wieder geschafft hatte vor uns da zu
sein, denn sie war doch eigentlich in Kvam geblieben. Sie sagte, dass sie wieder einmal sehr früh aufgestanden wäre und wenn sie einmal wach wäre, schliefe sie nicht mehr ein. Zumindest waren wir
total glücklich wieder bei ihr zu sein, doch als wir uns die Betten anschauten verflog die Freude wieder. Die Menschen im Mittelalter waren sehr klein. Tatsächlich wirkten die mittelalterlichen
Betten wie Kinderbetten und auch, wenn man durch die Tür gehen wollte, musste man sich bücken. Doch wir waren wieder mit Tiziana zusammen und das war die Hauptsache.
In der kleinen Herberge war noch ein weiterer Pilger, der aus Deutschland kam und Niklas hieß. Er hatte Dreadlocks und war 26 Jahre alt. Später erfuhren wir, dass er in Deutschland als
Kindergärtner arbeitet und die Pilgerreise dazu nutzen möchte etwas allein zu laufen und einmal Abstand zu allem zu nehmen. Deshalb habe er auch kein Handy mitgenommen.
Als es dann Zeit war schlafen zu gehen, mussten wir in dem Schlafraum Kerzen anzünden, denn es gab keinen Strom in dem Haus. Die flackernden Lichter verursachten eine behagliche Stimmung und man
fühlte sich für kurze Zeit als wäre man wirklich im Mittelalter. Als dann alle in den kleinen Betten lagen, las uns Niklas noch eine Gute-Nacht Geschichte vor, denn er sagte, er läse richtig
gerne vor und tatsächlich waren wir auch schon einige Zeit später im tiefen Land der Träume.
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